Foto: Die Walküren (rechts Ingrid Theorin als Brünnhilde) mit Sieglinde (Lise Davidsen, rechts außen) © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
Text:Andreas Falentin, am 30. Juli 2021
Die Bayreuther Festspiele 2021 haben keinen „Ring“. Die Neuproduktion von Valentin Schwarz und Pietari Inkinen sollte ursprünglich letztes Jahr stattfinden und musste auf 2022 verschoben werden. Was also tun im Übergangsjahr 2021? Mal was anderes! Diskurs Bayreuth – Ring 20.21 heißt das Zwischenprojekt. Die Festspiele konzedieren, dass eine Inszenierung auf gewohntem Niveau unter Corona-Bedingungen nicht möglich ist und haben nach anderen Formen gesucht, nach kleinen, weniger aufwendigen, praktikablen Formen.
So steht in der Nähe von Haus Wahnfried eine Skulptur von Chiharu Shiota, „The Thread of Fate“, der Faden des Schicksals. Nornenfäden sind um Ringe geschlungen, das Ganze rot und dreidimensional, eine filigrane Höhle, nicht begehbar. Keine Beschriftung verweist auf Funktion oder Idee. Schön anzusehen bleibt es. Auf der anderen Seite der Auffahrt zum Festspielhaus, am hübschen Teich, ereignet sich an drei Vormittagen „Immer noch Loge“, ein Puppenspiel mit Personal aus dem „Rheingold“, zeitlich angesiedelt nach dem „Götterdämmerungs“-Weltuntergang, in Szene gesetzt von Nikolaus Habjan, komponiert von Gordon Kampe auf einen text von Paulus Hochgatterer. Die einstündige Performance kommt vielleicht ein wenig schlicht daher, aber der geistige, interpretatorische Ansatz trägt und hat Substanz. Auch „Siegfried“ ist dabei. Für die Pausen der „Walküre“ hat Jay Scheib eine VR-Performance entwickelt. Einzelne Zuschauerinnen und Zuschauer können virtuell im Festspielhaus gegen einen Drachen kämpfen – zu Wagners Drachenkampfmusik. Sie gewinnen immer. Und die knapp sieben Minuten bereiten vielen großen Spaß.
„Die Walküre“ findet tatsächlich in voller Länge im Festspielhaus statt. Aber die Regieposition bleibt leer. Man hat den Aktionskünstler und Orgien-Mystiker Hermann Nitsch für eine „Malaktion“ zu Wagners Musik verpflichtet. Die weiß ausgeschlagene, von einer weißen Wand abgeschlossene Bühne ist zweigeteilt. Der vordere Teil gehört den Sängerinnen und Sängern. Sie tragen identische schwarze, bodenlange Kutten, sitzen, stehen oder geben Kostproben aus dem Standardrepertoire der Operndarstellung. Im hinteren Teil walten die zehn Malassistentinnen und -assistenten des niederösterreichischen Aktionskunst-Idols. Sie lassen Farben die Wand hinunterrinnen und verteilen sie schüttend auf dem Boden. Die Abläufe der Musik scheinen dabei keine Rolle zu spielen. Die Handlung vielleicht schon; es beginnt mit Grün, wenn Siegmund aus dem Wald komm; labt ihn Sieglinde aus der Quelle, tritt Blau hinzu; für Hundings Auftritt steht neidisches Gelb parat; wenn hinterher die Liebe zart aufblüht, tritt Rot hinzu, das dunkler wird, wenn körperliches Begehren hinzutritt; und wenn Wotan die Zukunft düster ausmalt, dominiert überraschenderweise Schwarz. Ist Aktionskunst wirklich so einfach?
Es soll und darf nicht geleugnet werden, dass die so entstehenden Schüttbilder durchaus eine ästhetische Attraktivität haben, aber hat die irgendtwas mit Wagners Musikdrama zu tun? Dass diese Frage am Premierenabend schwer zu beantworten ist, liegt an drei Faktoren. Zum einen verträgt sich das unentschlossene, „halbszenische“ Theaterspiel, offenbar von den Sängerinnen und Sängern selbst disponiert, nicht mit dieser Art von Kunst. Beides weist sich gegenseitig ab, scheint sich gar auszuschließen. Durchgängig sitzende oder stehende Sängerinnen und Sänger, ob nun vor oder im Bild, wären vielleicht ein Weg gewesen, das herauszufinden. Tatsächlich ist der erste Teil des dritten Aktes mit den parallel zur Rampe aufgestellten, durchgängig großstimmiigen Walküren theatralisch deutlich am eindringlichsten.
Musik und Klang kommt in Idee und Konzept naturgemäß eine Hauptrolle zu, nämlich die der Führung und Verbindung der beiden so unterschiedlichen Ausdrucksebenen. Pietari Inkinen, wie erwähnt für den „Ring“ im nächsten Jahr vorgesehen, beginnt stark mit dem Festspielorchester, lässt das Vorspiel gleichermaßen rau und transparent klingen, holt immer wieder einzelne Klangfarben hervor und wirft so neues Licht auf Altbekanntes. Aber schon nach gut 20 Minuten, nach Hundings Abgang, ist der Zauber vorbei und mag sich nicht wieder einstellen. Von hier an fehlt es dem Dirigat an Innenspannung, Agogik und vor allem Sinnlichkeit. Nichts brodelt untergründig, es gibt auch keine Intensitätssteigerungen. Die Musik rauscht vorbei, breit angelegt und ein wenig stumpf, im dritten Akt sogar mit leichten Zerfallserscheinungen.
Leider kann auch das Solistenensemble den Abend nicht retten. Christa Mayer ist eine eher solide Fricka, Dmitry Bellosselskij beeindruckt als Hunding mit einer urgewaltigen Bassstimme und verwirrt durch musikalische Ungenauigkeiten. Bei Irene Theorins Brünnhilde stimmt das Gesamtpaket an diesem Abend überhaupt nicht. Die Register fallen auseinander, die Stimme vibriert und zittert oft unkontrolliert, Text ist nicht zu verstehen. Tomas Konieczny (der ursprünglich als Wotan vorgesehen Günther Groissböck sprang nach der Generalprobe aus „persönlichen Gründen“ ab) verfügt über eine beeindruckende Bass-Bariton-Stimme. Aber an diesen Abend geht er schlecht damit um, phrasiert oberflächlich und auf Wirkung bedacht, verfärbt Vokale, singt dynamisch zu extrem. Im dritten Akt kommen auch noch Intonationstrübungen hinzu. Bleiben Siegmund und Sieglinde. Die sehr ausstrahlungsstarke Lise Davidsen hat fast beängstigend schönes Stimmaterial, Gerade im unteren dynamischen Bereich sind ihre Stimmfarben ein großer Genuss. Leider hat sie auch einen Hang zu monochromem, (zu) muskulösem Forte-Gesang. Der unterläuft Klaus Florian Vogt nie. Die Stimme ist ein ganz klein wenig schorfig geworden, was zum Siegmund, der ihm von den Farben her ja nicht in die Wiege gelegt ist, recht gut passt. Vogts klug phrasiertes schlichtes, fast lauteres Singen, seine tolle Artikulation und intelligente Textbehandlung erfreuen an diesem Abend nahezu uneingeschränkt.
Bleibt noch zu erwähnen, dass das mitn 911 Zuschauerinnen und Zuschauern besetzte Festspielhaus beileibe nicht leer wirkte, in den Pausen aber durchaus mehr Raum zum Flanieren blieb als gewohnt. Und dass sehr zu hoffen steht, dass der „Ring“ im nächsten Jahr die disparaten Eindrücke von dieser „Walküre“ vergessen machen wird.