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Bühnenschicksale oder: Des Guten zu viel

Leos Janácek: Aus einem Totenhaus

Theater:Bayerische Staatsoper, Premiere:20.05.2018Autor(in) der Vorlage:Fjodor Michailowitsch DostojewskijRegie:Frank CastorfMusikalische Leitung:Simone Young

Business as usual: Wie für den Bayreuther „Ring“ und den Stuttgarter „Ring“ baut Aleksandar Denic auch für „Aus einem Totenhaus“ in München eine gigantische Raumdrehbühne samt Videofuror.

Aus einem Totenhaus“ ist keine von Leoš Janáceks Opern, die sich von selbst spielen. Da ist niemand zur Stelle, der eindeutig die Hand reicht, an der man durch das Stück geleitet würde. Hier gilt es, auf eigene Faust zum Mitfühlen anzudocken. Hier berichten Menschen in der extremen Situation eines Straflagers von ihrem Scheitern und auch von ihrer Schuld im Leben davor. Janáceks letzte Oper beginnt da, wo Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ endet. In beiden Fällen ist Sibirien nicht nur ein geographischer Begriff, sondern Synonym für einen Endzustand, dem man nicht entrinnen kann.   

Es passt zur Münchner Staatsoper, sich dem sperrig collagierten Spätwerk aus dem Todesjahr Janáceks (1854-1928) zu stellen. Mit der Entscheidung Frank Castorf und Aleksandar Denic mit der szenischen Umsetzung zu betrauen, hat Nikolaus Bachler hohe Erwartungen geweckt. Zumal Castorf, der ja nunmehr weder durch Intendantenbürden, Ring-Pflege oder Faust-Wiederaufnahme belastet ist, als Schauspielregisseur der Dostojewskij-Spezialist schlechthin ist. Und Janácek das Libretto bekanntlich aus Fjodor Dostojewskijs „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ destilliert hat. Für den Russen wiederum war das die Verarbeitung eigener vierjährigen Lagererfahrungen. 

Bei Castorf kommt hinzu, dass in seinen Operninszenierung die Lust an der (und Fähigkeit zur) Dekonstruktion und Anreicherung der Vorgaben mit Fremdtexten durch die Vorgaben der Partitur gebändigt wird. Exemplarisch im Falle des Stuttgarter Gounod Faust. Ein surreal hingeträumtes Paris ist der Ort, in dem die eigentliche Geschichte von Goethes Vorlage her erzählt wurde. Verwoben mit einem Kapitel französischer Kolonialgeschichte wurde daraus ein faszinierendes Gesamtkunstwerk. 

Aleksandar Denic, dieser kongeniale Bühenwelterfinder und mittlerweile erprobte Glücksfall fürs späte Castorf-Theater, ist in München der Architekt für den metaphorischen Gulag. Es ist wieder eins der Drehbühnenkonstrukte, bei denen Wiedersehen (meistens) Freude macht. Mit Räumen für jede Menge Synchronität, mit Wänden für plakatierte Zeitbezüge und mit reichlich Platz für die bei Castorf unvermeidlichen Videos. Für vorgefertigte und live gedrehte aus den Hinterzimmern dieser Assoziationsburgen. 

Wem kyrillische Buchstaben vertraut sind und wer auch noch weiß, was die Worte bedeuten, der ist klar im Vorteil;  sieht, das hier die Iswestja (und mal nicht die Prawda) gelesen wird. Die „Pepsi Cola“-Werbung am Masten mit den Scheinwerferbatterien gibt’s als kyrillische und lateinische Variante und signalisiert so postsowjetische Zeiten. Ein Werbeplakat von Intourist für Sowjetrussland in Englisch („The new Travel Land USSR Sovjet Russia“) deutet eher auf den Zynismus der roten Zaren. Der vergoldete Doppeladler überm Lagerzaun auf dem Wellblechdach des Wachhäuschens auf einen historischen Schulterschluss zwischen den alten und den neuen Zaren, der heute so gerne in Moskau zelebriert wird. 

Denics Lager ist tonnenschwer und imponierend. Gemessen an dem, was man sonst von ihm kennt, ist es diesmal dennoch eher ein Leichtgewicht.  Vor allem, weil es als Variation und Wiederverwertung erkennbar ist. Das ist gerade bei diesem Bühnenbildner kein Nachteil, aber sein Totenhaus-Baracken- und Lagerkonstrukt ist diesmal vor allem das  Abbild eines einzigen Schauplatzes und weniger der Eingang zu einer Hölle der Assoziationen, die man hier eigentlich entfesseln könnte. Hier beschränken sie sich auf jede Menge Theaterblut und aufgeschminkte Wunden. 

Frank Castorf macht das, was er immer macht. Er lässt seinen Protagonisten jede Menge Raum, emotionalen Furor freizusetzen. Abzuschweifen. Sich ihre Rollen anzueignen. Was spektakulär gut gehen kann wie im Falle eines so grandiosen Sängerdarstellers wie Bo Skovhus. Der schafft es, mit seiner Geschichte des Šiškov in den Bann zu ziehen und sich aus der Masse herauszuheben wie auch Charles Workman als Skuratov.

Insgesamt freilich wirkt Castorfs Methode bei diesem Stück gleichsam prozyklisch. Sie verstärkt das Collagehafte der Vorlage bis ins Unkenntliche, statt auf der Bühne, die sonst so faszinierenden Assoziationsräume hin zu neuen Wahrheiten zu öffnen. Es ist geradezu erstaunlich, wie sich etwa die Szene, in der die Gefangenen Theater spielen und sich an die Freiheit erinnern, verläppert, wenn man sie nur in der Manier einer eher beliebigen Travestie-Show illustriert. Auch das symbolträchtige Spiel mit dem Adler wird hier zu einem Spiel mit der Erinnerung an den grandiosen Waldvogel auf dem Bayreuther Alexanderplatz. Mehr aber auch nicht. Am Ende wird der adlige politische Gefangene Alexander Petrowitsch Gorjantschikow (Peter Rose) wieder entlassen und kriegt für seinen Weg in die Freiheit von einer flotten Blondine neue Marken-Klamotten. Die, die bleiben, schauen durchs Gitter in den Verschlag mit hoppelnden Kaninchen. Also in die Röhre…Dann ist Schluss. Immerhin hatte es einen aparten Neuigkeitswert, dass Castorf zum Schlussapplaus im Smoking auftauchte. 

Musikalisch war die Sache eindeutig. Simone Young (die es als Dirigentin in München oder Wien immer leichter als auf dem Chefposten in Hamburg hatte) nutzte mit spürbarer Lust, die beachtlichen Möglichkeiten des Bayerischen Staatsorchesters. Sie lieferte einen atmosphärischen Janácek-Sound vom Feinsten, bot Transparenz und kostete die Zuspitzungen ins Schroffe aus. Bei der Reihung der episodischen Einzelschicksale der ins Totenhaus gebannten, lieferte zumindest Young den großen Bogen, der auf der Bühne diesmal im Kreisen um die eigenen Mittel so weit aus dem Blick geriet, dass einem Teil des Publikums die Chance zum Durchblick genommen wurde, der die Voraussetzung wäre, um heftig zu reagieren. In welche Richtung auch immer.