"Siegfried" bei den Bayreuther Festspielen 2013

Bühnenbildtheater

Richard Wagner: Siegfried

Theater:Bayreuther Festspiele, Premiere:29.07.2013Regie:Frank CastorfMusikalische Leitung:Kirill Petrenko

„Wie aus unterrichteten Kreisen zu erfahren war“, soll Frank Castorf die nach der Wim-Wenders-Absage „rettende“ Übernahme der „Ring“-Regie von der Verpflichtung und Zusage des Bühnenbildners Aleksandar Deniç abhängig gemacht haben. Dass der zur zentralen Figur der Neuinszenierung wird, war nun in „Siegfried“ zu erleben.

Deniçs zentrale Bilderfindung auf der bühnengroßen Drehscheibe ging bereits durch die Medien: sein aktueller „Mount Rushmore“ zeigt die Köpfe von Marx, Lenin, Stalin und Mao. Darunter hat sich Mime zur Aufzucht Siegfrieds mit dem Aluminium-Wohnwagen aus dem „Rheingold“ angesiedelt. Hier wird mit dem Wotan-Wanderer gerätselt, hier werkelt Siegfried rum, hier entdeckt er begeistert zwei Kalaschnikows, schließlich doch auch ein fertiges Schwert in der Ecke des Wohnwagens und hämmert ein bisschen daran. Deniç liebt – wie schon an beiden vorangegangenen Abenden – weiterhin verwinkelte Holztreppen: links wie rechts führt jeweils eine nach ganz oben zu einem verschachtelten Hochsteig – alle drei sind für Zuschauer in der Galerie bzw. jeweils acht bis zehn Plätze links oder rechts im Parkett nicht einsehbar… was unerheblich wäre, wenn darauf nicht wesentliche Gänge oder Szenenabschnitte stattfänden. Dass Wotan mal Marx streichelt, Siegfried später an Stalin hinhämmert, bleibt unerheblich. Deniç denkt insgesamt erkennbar in Filmbildern, wo Kamerafahrten jeden Blickwinkel möglich machen. Filmbild-schön wirkt auch die zwei Höhlen oder enge Gänge am Rand erreichbare Rückseite des gewaltigen Felsreliefs: der Berliner Alexanderplatz mit Weltuhr, Postamt, U- und S-Bahnzugang und womöglich Hinterausgang des Friedrichstadt-Vergnügungspalastes. Hier spielen große Teile des 2. und das Finale des 3. Aufzugs. Unter dem nochmals herbeigedrehten „Rushmore“ findet Siegfried statt des Wohnwagens einen Hirschgeweihhaufen und eine große Plastikplane, darunter Brünnhilde, die nach langem Hin und Her mit „Siggi auf den Alex“ geht, wo der aber im Postamt rumwerkelt.

Standen schon in den großen „Walküre“-Monologen die Sänger einfach bedeutungslos herum, so ist nun Castorfs Desinteresse an jeglicher kohärenter Erzählung oder Figuren-Konstellation dominant. Viel seiner öffentlich beklagten „kurzen“ Probenzeit hat er darauf verwendet, den hinzuerfundenen Bar-Mann aus dem „Rheingold“ nun als „Bär“ mit langer Halsleine ausführlich zu inszenieren: er wird als „Stück Natur“ von Mime mit Öl beschmiert; er stapelt mehrfach Mimes Bücher um; er kommentiert mit hanebüchenem Körpereinsatz jeden sinnfreien Hammerschlag Siegfrieds. Später ist er aber auch ein gevifter, Dollar-fixierter Kellner auf dem „Alex“ – Interpretationsgewinn: Null! Castorf ansonsten: Alle Frauen sind Nutten; viele um den reichen Fafner herum, den „Siggi“ mit der Kalaschnikow umballert; Erda befriedigt „ihren“ Spaghetti-mampfenden Wotan noch mal schnell oral und das Waldvöglein – im fabulösen Revue-Kostüm aus dem Friedrichstraßen-Palast kommend – führt „Siggi im Rocker-Kostüm“ schon mal schnell in „Sex unter Alex-Laterne“ ein, woraufhin der dann mal Angst, mal gelangweiltes Desinteresse Richtung „Weib Brünnhilde“ zeigt. Deshalb kommen am Ende auch zwei Riesenkrokodile hereingekrochen – Pina Bausch und “Death, Detroit and Destruction“ grüßen. Sie kopulieren stellvertretend für das Heldenpaar, die sie dann auch füttern – wofür „Brünni“ schnell in ein osteuropäisch opulentes Brautkleid gewechselt hat. Der Buh-Sturm für all dies nahm Festspielhaus-sprengende Ausmaße an.

Wozu man glänzende, ihre guten Kollegen überragende Solisten wie Burkhard Ulrich (Mime), Martin Winkler (Alberich), Wolfgang Koch (Wanderer), Nadine Weissmann (Erda) und Lance Ryan (Siegfried) animieren kann, zeigte allein Kirill Petrenko. Sein Dirigat vereint im hell und schlank wirkenden Klangbild feine Motiv-Erinnerungen, ruhigen Fluss mit mehrfach auffallenden Atempausen und dann im grandiosen Vorspiel zum 3. Aufzug auch donnernde Wucht – er ist wohl das künstlerisch einzig bedeutsame Ereignis in diesem Jubiläums-Ring, worüber nach der „Götterdämmerung“ zu reden sein wird.