Foto: Szene aus „La Nuit de Gutenberg" an der Opéra national du Rhin in Straßburg. © Alain Kaiser
Text:Georg Rudiger, am 27. September 2011
Leuchtbuchstaben – A, G, Q, R. Wie im Schwarzen Theater schweben die blau schimmernden Buchstaben durch die Luft, verändern ihre Position, fügen sich zu neuen Gruppen zusammen. Worte entstehen dabei keine. Ein abstrakter Buchstabentanz – ästhetisch, aber ohne konkrete Bedeutung. Der stumme Beginn von Philippe Manourys neuer Oper „La Nuit de Gutenberg“ (Libretto: Jean-Pierre Milovanoff) deutet bereits an, was den Zuhörer in der folgenden Stunde erwartet. Abstrakte Tonkunst mit wenig Emotionen. Manourys Musik, die elektronisch erzeugte Töne und Geräusche kunstvoll in den differenzierten Orchesterklang der Straßburger Philharmoniker (Leitung: Daniel Klajner) hineinwebt und phasenweise auch ganz der Experimentierfreude des renommierten Pariser Tonstudios Ircam (Serge Lemouton) vertraut, büßt im Laufe des Abends an Faszination ein.
„La Nuit de Gutenberg“, aufgeführt im Rahmen des Straßburger Musica-Festivals, ist die erste Oper, die Marc Clémeur an der Opéra national du Rhin in Auftrag gegeben hat. Der Intendant suchte nach einem Thema, das eng mit der Geschichte Straßburgs verbunden ist – und kam auf Johannes Gutenberg, der zwischen 1434 bis 1444 in der Stadt erste Buchdruckexperimente durchführte. Für den Komponisten Philippe Manoury war es wichtig, sich nicht auf die Biographie von Gutenberg zu beschränken, sondern das Thema zu einer Geschichte der Schrift auszuweiten. Deshalb lässt er die in zwölf Szenen gegliederte, französischsprachige Oper im Prolog mit einem archaisch aussehenden Quartett der Schreiber (Kostüme: Richard Hudson) beginnen, das Hieroglyphen auf Tafeln zeichnet. Die Triller im Orchester vermischen sich mit elektronisch erzeugten Klingelgeräuschen. Zarte Klangflächen lassen Raum für die Stimme.
In den meisten Szenen geht es um die Schattenseiten des Kommunikationszeitalters. Gutenberg (mit klarer Diktion: Nicolas Cavallier) wundert sich über blinkende Spielekonsolen (homogen: die Petits Chanteurs de Strasbourg) und ist schockiert über die alltägliche Datenüberwachung. Staunend betrachtet er Kriegsbilder auf der Leinwand und schüttelt den Kopf über Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten (Regie: Yoshi Oida, Bühne: Tom Schenk). Der Abend wirkt wie ein sehr weit gefasstes, plakatives Brainstorming zum Thema Informationsgesellschaft. Es gibt eine glitzernde Hostess (koloraturensicher: Mélanie Boisvert) und eine Folia genannte Seelenverwandte Gutenbergs (mit warmem Mezzo: Eve-Maud Hubeaux). Es fehlen aber echte Charaktere und klare Konflikte. Die Nacht des Gutenberg hätte aufregender werden können.