Auch die anderen Figuren sprechen mit charmantem Akzent und wenden sich immer wieder erklärend ans Publikum, machen aus der Inszenierung eine komische und ungemein unterhaltsame Tschechow-Überschreibung. Der besonders präsente Arzt Astrow (Gunnar Golkowski) verzettelt sich mit Wanja in eine komische Diskussion, ob das Wetter nun schwül oder schwul sei. Solch alberne Exkurse beleben das Treiben auf der Bühne – zumal das gesamte Ensemble die beschränkten Figuren gerade durch ihre Offenheit gegenüber dem Publikum glaubwürdig macht, und dabei unversehens in existenzielle Extremsituationen führt. Selten gab es bei einer Tschechow-Inszenierung so viel zu lachen – und mitzuleiden, gerade weil sie nicht Tschechows Figuren nachbilden will, sondern mit Hilfe der Textvorlage ein überzeugendes Gesellschaftsporträt zeichnet.
Der Pianist Hans Petith fordert für sein Spiel am Flügel immer wieder Applaus ein (holt auch einmal eine Maus aus dem Instrument) und verschränkt sich andererseits wunderbar mit den Gefühlslagen der Figuren. Weniger russische Weisen als anglophohne Lieder, aber auch deutsches Liedgut oder rasante Rhythmen erweitern den durchbrochenen Horizont einer längst vergangenen russischen Sommergeschichte. Im Zentrum steht weniger ein ermatteter, vom Weg abgekommener Held der Arbeit (Wanja), eher sind es vom gesellschaftlichen Rollenspiel ermattete Clowns. Die Mutter des Professors (Sigrun Fischer) lässt sich auf einer Rollator-ähnlichen Plattform über die Bühne schieben, der Parasit Telegin (Amadeus Gollner) betrachtet das Treiben der anderen auch einmal im Kopfstand. Und die in blendendem Kostüm samt Sonnenschirm die Männer bezirzende Frau des Professors gesteht, dass sie sich selbst als unscheinbare Nebenrolle sieht. Die Szene zwischen ihr und (der bei Männern weniger erfolgreichen) Stieftochter Sonja, in der sie sich die Herzen ausschütten, während der (von beiden ) angebetete Astrow vom Wodka überwältigt am Boden kauert, ist eine der Höhepunkte einer in allen Beziehungen gelungenen Inszenierung, die keine Angst vor Komik hat und ganz ernsthaft unterdrückte Wünsche als großes Übel der Gesellschaft entlarvt. Dabei haben Fabian und das Ensemble gekonnt zahlreiche kleine Aktionen zu einem stimmigen Bild komponiert.
Das gesetzte Premierenpublikum um mich herum war spürbar irritiert, weil der Klassiker so direkt auf die Bühne kam, und konnte sich der beißenden Komik und den damit verbundenen existenziellen Abgründen bei allen bildungsbürgerlichen Vorbehalten einfach nicht entziehen. Ein großer Theaterabend.