Theater:Pact Zollverein,

Dokumentartheater um das Schicksal einer gewaltigen Zementfabrik in den Jahren 2011-2014, brillant gespielt und reduziert inszeniert.

Seit 2011 unterhielt der französische Konzern Lafarge im Nordosten Syriens eine Zementfabrik von gewaltigen Ausmaßen, der trotz Bürgerkrieg und die Invasion der Terror-Armee des IS bis 2014 ihren Betrieb aufrecht hielt, wohlgemerkt: unter französischer Führung. Wie kann so etwas geschehen?

Der semidokumentarische Text von Mohammad Al Attar geht dieser Frage mit „The Factory“ auf sensible und intelligente Weise nach. Eine in Paris lebende algerische Journalistin erhält eine reichlich konfuse E-Mail-Nachricht des jungen Ahmad, der als Arbeiter in jenem Zementwerk quasi gefangen war und beginnt zu recherchieren. Dabei begegnet sie den aus einer führenden Familie Syriens stammenden Tycoon Firas und dem ambitionierten von Kanada aus operierenden Geschäftsmann Amr. So öffnet der Autor einen Zugang zu einem undurchsichtigen Netz aus Interessen und Konflikten, in dem es ausschließlich Schuldige zu geben scheint, die sich in der Regel selbst die Nächsten sind – und Opfer. Ahmad ist auf seine Arbeit angewiesen und wird durch seine Existenzängste geradezu in der Fabrik interniert.

Der Regisseur Omar Abusaada zeigt diese Vorgänge mit sehr, momentweise vielleicht sogar zu sehr reduzierter Dramatik. Die Plätze der Darsteller befinden sich hinter Tischchen an der Seite, von denen sie sich gelegentlich erheben, um in der Bühnenmitte miteinander zu spielen oder zu monologisieren. Die Bühne wird nach hinten abgeschlossen von einem konvexen Rundhorizont, dessen graue Farbe an Zement erinnern soll. Die untere Hälfte lässt sich in drei Segmente teilen, die gewendet werden und als Projektionsfläche dienen können, für dokumentarisches Bildmaterial, einmal auch für das Gesicht der Schauspielerin Lina Murad, die wunderbar unaffektiert spielt, ohne sich klein zu machen, hinter das Thema und seine Aufbereitung zurücktritt. Wie überhaupt die Schauspieler das größte Pfund sind, mit dem „The Factory“ wuchern kann. Sie haben nicht viel Raum für Rollenprofile, können fast immer nur durch Andeutungen wirken und müssen zudem die durch die arabische Sprache, in der gespielt wird, naturgemäß stark vergrößerte Distanz zum Publikum überwinden. Und doch wird gerade durch die Lebendigkeit und Intensität ihres Spiels die Haltung von Autor und Text relevant. Im übertragenen Sinne nackt spielt Mustafa Kur den Arbeiter Ahmad. Mit fast erschreckender Direktheit vermittelt er ohne jede Aggressivität die Ambitionen und Ängste seiner Figur. Firas, der Tycoon mit Verbindung zu höchsten Kreisen, ist bei Ramzi Choukair dagegen ganz Charmeur, strahlt Macht aus, schillert vor Eleganz, gibt sich als Virtuose der kleinen wie der großen Gesten und lässt momentweise immer wieder in seine innere Leere sehen. Saad Al Ghefari schließlich spielt den jungen Aufsteiger-Lobbyisten Amr, der versucht aus der Fremdheit von Westen und Osten, aus dem gewaltigen sich-nicht-Verstehen Kapital zu schlagen, fast als komische Figur, mit absolut bestrahltem Timing und ungewöhnlichem physischem Slapsticktalent.

„The Factory“ ist ein spannender, lebendiger Theaterabend, der nicht wild anklagt, sondern differenziert und präzise benennt. Gerade deshalb, und wegen seiner uns alle betreffenden Aktualität, wäre es wünschenswert, dass diese Aufführung ein breiteres Spektrum von Menschen erreichet als das „normale“ Festivalpublikum. Dies scheint zumindest bisher leider nicht gelungen, zumindest in der besuchten zweiten Vorstellung blieben etliche Plätze frei.