Daniel Whiley, Frank Fannar Pedersen und Ayumi Sagawa in "Ein Winternachtstraum" am Hessischen Staatstheater Wiesbaden.

Brett vorm Kopf

Johan Inger/Stephan Thoss: Ein Winternachtstraum

Theater:Hessisches Staatstheater Wiesbaden, Premiere:16.02.2013 (UA)

In Shakespeares „Sommernachtstraum“ spielt ein Mann die Wand. Er, sie, trennt die Liebenden Pyramos und Thisbe. Der neue Ballettabend am Staatstheater Wiesbaden, „Ein Winternachtstraum“, hat auch jede Menge Wand. Und scheiternde Liebende. Als Gastchoreograph bringt der Schwede Johan Inger sein weltweit erfolgreiches „Walking Mad“ von 2001 mit. Sein Bretterzaun entpuppt sich als höchst beweglicher Mitspieler, der Tänzer durch plötzlich sich öffnende Türen saugt oder ausspuckt, als undurchdringliche Mauer eine Einsamkeitsecke markiert, heruntergeklappt zur Dorffestbühne wird. Wandelbar ist auch die Mann-Frau-Geschichte hier, die einerseits am ersten Kontaktversuch scheitert, andererseits, entsprechend dem „Bolero“ von Ravel im Orchestergraben, fantasierte Blüten treibt, in denen der Mann zur brünftigen Gruppe wird. Mit all ihrer Energie und dem Großtun kommt sie, er, irgendwie nicht gegen das weibliche Mauern an.

Stephan Thoss nennt sein neues, fast abendfüllendes Werk für seine bestens aufgelegte Company „True or not True“. Laut Programmheft bezieht es sich auf Hitchcock-Filme, das Orchester spielt teilweise auch deren Kompositionen; aber vor allem erkennt man alte Thoss-Bekannte wieder, eine dominante Mutter wie im „Blaubart“, den männlichen Grobian aus „Giselle“, das Zwanghafte, Getriebene des Handelns. Das Verzweifeln. Statt einer Geschichte splittert er vor den sich verschiebenden hohen Wänden mehrere Geschehen auf. Ein Paar tanzt fröhlich miteinander, er will gehen, sie lässt ihn nicht, dann ist er weg, sie zagt, greift ins Leere. Ein Paar zerrt an einer Frau – der Tochter? – lässt sie nicht los. Ein Paar, schwarz und weiß gekleidet wie ein altes Bild, verhakt sich nervös und ohne jedes Zartgefühl aneinander. Die Rahmen- oder Haupthandlung des mäandernden Stückes zeigt zwei Tänzer, hintereinander gestellt, an den Händen gefasst oder zumindest in trauter Nähe wie zueinander verdammte Brüder. Der eine tanzt höflich reihenweise mit Frauen, dann übernimmt das Alter Ego, das sie behandelt wie manipulierbare Gegenstände. Eine der Beziehungen gerät liebevoller, raumgreifender, doch plötzlich wird der erste Mann zum Biest und erwürgt die Frau, schaut auf seine Hände, will es nicht glauben.

Das Alptraumhafte verstärkt eine alberne Groteske mit Rokokoperücken à la Kylián; zuweilen kraucht eine kleine Meute geisterhafter Wesen herbei, die Räume blockiert und Menschen verschiebt. Für deren Gefühle und Einbildungen findet Thoss mit seinen dreiundzwanzig Tänzern aber auch ganz unterschiedliche, bislang ungesehene Bewegungsqualitäten: von zerbrechlich bis nervös-aktivistisch, blind rotierend, bleistiftspitz in Luftlücken kratzend. Dafür hätte man sich mehr Platz gewünscht, weniger Wand.