Der Bus ins Exil?
Die Inszenierung von Immo Karaman, der auch die Ausstattung besorgt hat, erlaubt sich, die gern so volkstümlich präsentierte Revue vom „Weißen Rössl“ am Staatstheater Braunschweig etwas anders anzugehen. Man schaut erstmal gegen eine graue Hauswand, vor der grau gekleidete Reisende auf den Bus warten. Den Bus in die Ferien, ins Exil oder ins Lebensglück, viele Lesarten sind denkbar. Die Lebenswirklichkeit zur Zeit der Uraufführung der Revue von Erik Charell mit Musik u.a. von Ralph Benatzky war eher düster, 1930 ein Jahr sozialen Niedergangs und harter politischer Konflikte. Noch gab es zumindest im Unterhaltungswesen künstlerische Freiheit und erotische Freizügigkeit.
Karaman und Choreograf Fabian Posca setzen hier ein und entwickeln den ersten Akt trotz des weiter kargen, immer sichtbar sich umbauenden Bühnenbilds zu einer Art Cabaret mit leicht bekleideten Tanzboys und -Girls, freibrüstigen Obern und einem Tenor en travesti als Wirtin. Matthew Peña spielt das mit Nonchalance, wirklich damenhaft, bei den hohen Tönen dürfte er noch mehr Schmelz geben. Und Braunschweig wagt was: Beim Blowjob in den Stalltoiletten und dem Melken der „Kuh, so wie du“ (Originalliedtext) glaubt man sich in Schmidts Tivoli.
Zeitreise in den Krieg
Karamans Zeitreise geht weiter. Als das Salzkammergut mit einem zeittypischen Plakat als „Heimat des Führers“ gepriesen wird, bricht diese liberale Welt zusammen. 1933 wurde das Stück verboten. Der Piccolo wird nun schneidig. Und als der Kaiser kommt, wird die männliche Wirtin davongetreten, die jodelnde Kathi (Milda Tubelyte) übernimmt nun die Rolle, Leopold wird in die Reihen gepresst. Zu den Salutschüssen für den Kaiser fällt das Haus in Schutt und Asche. Krieg. Leise singt der Piccolo „Lasst uns Abschied nehmen“. In solchen Szenen der Besinnung, wenn die Figuren im expressionistisch zugespitzten Trubel ehrlich werden, ist Karamans Inszenierung am stärksten.
Leider fällt ihm für den ganzen Schluss nur eine wohlfeile Fernsehshow-Parodie aus den 70ern ein, wo die Wirtin als eine Art Maria Hellwig die anderen Figuren wie Showgäste präsentiert und zu deren flachen Witzen das Zuschauerlachen aus dem Off eingeblendet wird. Schon klar, Heimatfilm statt Aufarbeitung, aber das zieht sich. Und mit Parodie kriegt man alles kaputt.
Dieselben Witze hatten in der Bar jeder Vernunft Charme, und „Es ist einmal im Leben so“ ist eben zugleich platt und wahr. Warum soll, was man eben als den pikanten Zauber der Saison 1930 pries, jetzt plötzlich doof sein? Selbst der Peter-Alexander-Film, auf den der Titelschriftzug der Show anspielt, nutzt, bei aller Harmlosigkeit, viel nackte weibliche und männliche (!) Haut und endet mit dem ausdrücklichen Bekenntnis: „Wir sind der Chef“, Mann und Frau gemeinsam.
Hand in Hand ins Off
Leopold jedenfalls hält eine so blöd gemachte Show nicht aus und steigt aus. Und so steht er dann wieder allein an der Haltestelle wie ein Exilant. Aber nun tritt der Tenor zu ihm, der einst die Wirtin spielte. Hand in Hand gehen sie ins Off, das allerdings völlig grau bleibt. Den Ausblick auf die queeren Operettenshows von Kosky & Co in diesem Jahrtausend versagt der Regisseur. In Anbetracht des aktuellen gesellschaftlichen Klimawandels hoffentlich kein Omen.
Alexander Sinan Binder geht mit dem Staatsorchester die schwelgerischen Songs auch ziemlich schwelgerisch an, da könnte er das Tempo etwas anziehen und mehr swingen. Mit den verstärkten Stimmen geht der große Operettensound dann klar. Im fast durchgehend durchchoreografierten Ensemble setzt vor allem Götz van Ooyen als berlinernder Textilfabrikant Giesecke Pointen.