Großartiges Ensemble, hier zu sehen: Elisabeth Müller, Alexander Khuon, Bernd Stempel und Judith Hofmann

Braucht die Welt noch Helden?

Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts

Theater:Deutsches Theater Berlin, Premiere:28.02.2013 (UA)Regie:Stephan Kimmig

Sascha wandert durch die Leben seiner Eltern, Großeltern und durch sein eigenes. Er nimmt Anteil, aber er ändert natürlich nichts, denn es ist ja alles schon entschieden und geschehen. Geschichte kann man nicht ändern, so gerne man es möchte. Sascha ist der „Ich-Erzähler“ dieses Romans, und er bewegt sich auf der Bühne des Deutschen Theaters in Berlin. Dort hatte Regisseur Stephan Kimmig seine Fassung von Eugen Ruges fulminantem Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ uraufgeführt. Jetzt war seine Inszenierung Teil des Streaming-Angebots „DT Heimspiel“ – und auch nach sieben Jahren hat sie nichts von ihrer Eindringlichkeit verloren.

Schon die Szenerie von Bühnenbildnerin Katja Haß ist ungewöhnlich: ein Laufsteg im Karomuster, rechts und links Holzwände, die Fächer, Türen, auch ein Bett enthalten. Davor sitzt natürlich das Publikum, dahinter aber die Darsteller, die gerade nicht mitspielen. So sind immer alle miteinander verbunden für Eugen Ruges Geschichte (s)einer Familie zwischen Kommunismus und Kapitalismus.

Des Autors komplexe Konstruktion, die mal vor-, mal rückwärts erzählt, haben Kimmig und die Dramaturgin Juliane Koepp übernommen. Die Szenen und Gespräche werden ab- und ausgeblendet, so wie man in einem Buch die Seiten umblättert. Und die Kamera, die diese Aufführung gefilmt hat, hält sich zurück: Meist geht ihr Blick auf die ganze Bühne, dokumentiert das Geschehen, ohne zu interpretieren. Nahaufnahmen sind selten.

Zum Dreh- und Angelpunkt von Buch und Stück wird der 90. Geburtstag Wilhelm Powileits (Christian Grashof), der ausgerechnet ins Wendejahr 1989 fällt. Seine „Geschichte der Arbeiterbewegung“ ist Makulatur, die Kämpferfaust, die er immer wieder reckt, auch. Es gibt dröges Funktionärslob, den „Vaterländischen Verdienstorden“ in Gold – und Streit, auch zwischen Vater Kurt (Bernd Stempel) und Sohn Alexander, genannt Sascha (Alexander Khuon).

Wo das alles herrührt, zeigen Drama wie Roman exemplarisch. Die Großeltern Wilhelm und Charlotte (Gabriele Heinz) waren glühende Verfechter des Kommunismus, was sie ins mexikanische Exil trieb. Sohn Kurt brachte aus dem Krieg eine russische Frau, Irina (Judith Hofmann), mit nach Hause, wo man den DDR-Alltag durchleben musste. Sohn Sascha schließlich werden dieser Alltag und diese Eltern „in den Westen“ treiben – was die Inszenierung grandios verdichtet. Während wieder mal der, in Varianten gezeigte, Geburtstag gefeiert wird, huscht Sascha durch die Szene, das Gesicht unter der Kapuze seiner Uniformjacke verborgen.

So setzen Kimmig und sein großartiges Ensemble das Kaleidoskop vieler deutscher Leben zusammen, mit leiser Musik, lautem Streit, wenig Hoffnung, dafür vielen Erinnerungen. An denen hält sich auch Irinas Mutter Nadjéshda Iwánowna (wunderbar: Margit Bendokat) fest, ebenso an ihrem Heimweh und ihren russischen Lebensweisheiten. Der Spannungsbogen geht in knapp drei Stunden nie verloren; am Ende führt Sascha seine Großfamilie noch einmal zusammen, zum Abschied und zum verdienten Applaus.