Falk Struckmann (Herzog Blaubart) und Claudia Mahnke (Judith) im beeindruckenden Raum bei "Herzog Blaubarts Burg" in Stuttgart

Brackwasserspiele

Béla Bartók: Herzog Blaubarts Burg

Theater:Staatsoper Stuttgart, Premiere:02.11.2018Regie:Hans Op de BeeckMusikalische Leitung:Titus Engel

Womit anfangen bei diesem Abend? Am besten mit der ebenso weitläufigen wie nüchternen und doch gerade deshalb einladenden Foyer-Situation mit Garderoben und zwei Gastronomiewaggons in der ehemaligen Paketposthalle im Stuttgarter Norden, wo ursprünglich das Ausweichquartier der Oper während der Renovierung hätte sein sollen. Dann heißt es sich vorbereiten wie zu einer Exkursion: Man schaue, in welchem Block man sitzt, suche sich in passender Größe hohe, schwarze Plastiküberzieher und höre in der Umkleide einem beflissenen Guide (im Programmheft „Zeremonienmeister“ genannt) zu, der einem weismachen will, dass das, was man jetzt gleich zu sehen und zu hören bekommen, etwas ganz Alltägliches sei: Mann und Frau von gegenüber, die sich nicht verstehen.

Dann wird man in die eigentliche Halle geführt, mitten durch knöcheltiefes Brackwasser in einem ovalen Becken, vorbei am Orchester und an ein paar Inseln aus Kies, Pappmaché-Felsen und zwei dürren, blattlosen kleinen Bäumen. Das Wasser durchzieht ein Steg mit Geländern, an dem ein Boot mit allerlei Utensilien angelegt hat, wie Fische in einem Eimer oder Kastanien in einem Korb. Alles, auch eine Wimpelkette als mageres Überbleibsel eines Fests, ist in dumpfes, trübes Schwarz getaucht. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis alle 400 Zuschauer ihren Platz dank Taschenlampen im Halbdunkel gefunden haben, und natürlich herrscht alles andere als die geforderte Stille.

Endlich: Auftritt Dirigent auf dem Fahrrad und etwas später Auftritt Blaubart, ebenfalls auf dem Fahrrad, wie es eben noch im Foyer an orangefarbener Wand stand. Der Herzog schraubt noch ein paar Glühbirnen (ebenfalls in Orange) in eine Lichterkette, was die einzige Farbe sein wird an diesem Abend außer dem roten Schal Judiths, die mit Rucksack auftritt – und das Ganze beginnt. Am Ende schnallt Blaubart Judith den Rucksack wieder auf und geht ins Nirgendwo, während sie allein am Ende des Stegs zurückbleibt. Solange Judith noch keine der ominösen sieben Türen öffnen will, die Fenster in Blaubarts düstere, blutunterlaufene Seele sind, funktioniert die Inszenierung von Hans Op de Beeck, von dem auch Bühne, Kostüme und Licht stammen, einigermaßen. Da sieht man ein sich liebendes, etwas älteres Paar (sie freilich erheblich jünger als er), das sich küsst und umarmt und innige Verbundenheit zeigt. Doch wenn konkret immer wieder vom Geschehen hinter den Türen die Rede ist, was Übertitel minutiös in Übersetzung des gesungenen ungarischen Originals zeigen, dann beißt sich der Realismus von Szene und Regie herb mit den Visionen von Folterwerkzeugen, prächtigem Schmuck oder einem Paradiesgarten. Mal entlässt Judith dazu schwarze Luftballons an die Decke, mal schaufelt sie Papierblumen aus einem Korb oder spielt heiteres Äpfel- und Mandarinenschälen mit Blaubart. Da hilft es auch nichts mehr, dass beide den ganzen Raum bespielen.

Aber dann öffnet Judith symbolisch die fünfte Tür – mit überwältigender Wirkung: Auf einmal wird es in der ganzen Halle hell und plötzlich ist eine Batterie von acht Blechbläsern (je vier Trompeten und Posaunen) zu sehen und zu hören. Mit dem an der anderen Schmalseite des Ovals sitzenden Orchester zusammen entwickeln sie einen sogartig gleißenden Klang. Wenn Judith mehrfach geblendet und fast tonlos stammelt „Schön und groß sind deine Lande“, bevor im Anschluss und immer wieder die Blechbläser sie umtosen, hat die Aufführung endlich ihr Zentrum erreicht. Was den Abend rettet, ist die suggestive Musik Bartóks, das durchaus farbig aufspielende, wenn auch dank der akustischen Verhältnisse manchmal etwas indirekt und nicht so plastisch wie im Graben klingende Orchester unter Titus Engel, Falk Struckmann als knorriger Herzog Blaubart und Claudia Mahnke als leidenschaftlich unerbittliche Judith.