Frank Schneiders und August Zirner stehen in der Bühne in einem schmalen Gang.

Kein Willkommen für flüchtige Landsleute

Bohuslav Martinů: The Greek Passion

Theater:Staatsoper Hannover, Premiere:11.04.2025Regie:Barbora HorákováMusikalische Leitung:Stephan ZiliasKomponist(in):Bohuslav Martinů

Barbora Horáková inszeniert an der Staatsoper Hannover Bohuslav Martinůs Stück „The Greek Passion“. Dabei überzeugt das Ensemble, das Bühnenbild und das Orchester auf ganzer Linie.

Osmanen brannten ihr Dorf nieder. Die Flüchtenden hoffen auf Solidarität ihrer in Sicherheit lebenden Landsleute. Fehlanzeige. Kaum die Spur von Willkommenskultur. Griechen stehen gegen Griechen. Einzig die für die Hauptrollen des lokalen Passionsspiels Auserwählten mahnen Solidarität an. Der mit Christus besetzte Schäfer Manolios schlägt sich gar auf die Seite der Geflüchteten. Bis zum Identitätswechsel steigert er sich in die Erlöserfigur hinein. Predigt den Aufstand. Final verfällt er dem Verdikt des Ortsgeistlichen. Nach des „guten Hirten“ Ermordung durch die Alteingesessenen machen sich die Geflüchteten erneut auf den Weg in eine ungewisse Zukunft.

In Hannover gelangt die erst 1999 bei den Bregenzer Festspielen erstmals vorgestellte Urfassung des Werks auf die Bühne. Die Sprechrolle eines Erzählers sowie überhaupt zahlreiche gesprochene Passagen hatte Martinů streichen müssen, um das Werk 1961 in Zürich aus der Taufe zu heben. In Hannover erweist sich die Wirkmächtigkeit des Wechsels von Gesang und musikfreier Rede, auch wenn der poetisch gehaltvolle Text das Stück zum Ende hin in die Länge zieht.

Bühne als Kaleidoskop

Regisseurin Barbora Horáková wiegt das freilich mehr als auf. Die Spielleiterin verwandelt die nicht wie in der gängigen Fassung des Werks bestimmende Tendenz zum Oratorisch-Geschlossenen, vielmehr das durch Sprechtext, Gesang, Vielzahl der Personnage und Miniaturepisoden mannigfach prismierte Geschehen in ein dörfliches Kaleidoskop aus Machtkonstellationen, Frömmigkeit, Vorurteilen, Feierlaune und tiefer Empfindung. Weder Eingesessene noch Migranten zeigen sich vereinseitigt. Begreiflich daher ebenso die migrantische Forderung nach Siedlungsland wie das Pochen auf Besitzstandswahrung bei den Einheimischen.

Gewinnend Horákovás ausgeprägtes Sensorium für die das Dorfleben bestimmenden Konstanten aus Fest und Kultübung. Glaube und Liturgie versprechen Altansässigen wie Zuwandernden Orientierung und Halt, wie trügerisch solche scheinbare Gewissheit auch immer sein mag. Wenn die Apostel des Passionsspiels die Fußwaschung proben, sich darüber klar werden, dass Jesu Anhängerschaft aus einfachen Leuten wie ihnen bestand und sie die Seligpreisungen der Bergpredigt zu begreifen suchen, dann spricht viel echter Glaube und aufrichtige Bereitschaft zur Nachfolge des Religionsstifters aus Worten und Gebaren.

Andererseits decouvriert Horáková die bei aller Identifikation mit dem Erlöser durchaus selbstischen Motive des Hirten Manolios. Sein Gefallen an der Macht und nicht zuletzt sein erotisches Begehren hinsichtlich der attraktiven jungen Witwe Katerina. Für alles dies ersinnt Bühnenbildnerin Susanne Gschwender ein Labyrinth aus weißen Mauern. Längst hat sich verunklärt, was dem Schutz vor Unbilden gilt und was zu vorgeblicher splendid Isolation und Ausgrenzung führte. In ihrer Funktion und Bedeutung überdeterminiert wie die Irrgänge sind, spiegeln sie die bei aller Selbstversicherung im Gemeinschaftlichen letztlich Halt- und Orientierungslosigkeit im Dorf. Sarah Derendingers Videos zeigen aus der Vogelperspektive, wie es innerhalb der Gänge und Schächte das eine Mal wimmelt, um sich bald darauf prozessionsartig zu formieren. Eva-Maria van Acker steckt Chor und Riesenensemble in heutige Allerweltsgarderobe. Für Manolios nimmt sie deutliche Anleihen bei gängiger Jesus-Ikonografie.

Stupende Gesamtleistung

Musikalisch grenzt der Abend an eine Offenbarung. Den Chor samt Extrachor des Hauses beflügelt Lorenzo Da Rio zu gläubiger Inbrunst samt enormer, doch immer kultivierter und durchhörbarer Klangpracht. Musik wird da zum vielleicht vergeblichen, doch unabdingbaren Hoffen wider alle Vernunft. Auch der Kinderchor unter Tatiana Bergh lässt sich bestens präpariert vernehmen. Stephan Zilias führt das Niedersächsische Staatsorchester Hannover zu dramatischen Aufgipfelungen und folkloristischen Temperamentsausbrüchen, um zugleich feinsinnigstes Stilempfinden und Detailarbeit zu beweisen.

In solch‘ zuweilen purer Schönheit schimmert die Möglichkeit von verträglicher Zukunft auf. Homogene Hochklassigkeit zeichnet die Solistinnen und Solisten des Riesenensembles aus. Christopher Sokolowski verfügt für Manolios über heldentenorale Emphase. Sokolowski bringt sie gleichermaßen in die vokale Erlösergeste wie zunehmend demagogische Anwandlungen ein. Lyrisches Leuchten bietet Eliza Boom für die junge Witwe Katerina auf. Herrisch in Stimme und Gehabe manipuliert Shavleg Armasi als Priester Grigoris die Alteigesessenen. Voller Mitempfinden und Zielstrebigkeit gibt Marcell Bakonyi den Priester Fotis, um die Bewandtnisse der Geflüchteten zum Besseren zu wenden.