Nina Steils und Victor IJdens

Alle verzerrt

Emily Brontë: Sturmhöhe

Theater:Schauspielhaus Bochum, Premiere:07.03.2025 (UA)Regie:Claudia Bossard

Claudia Bossard inszeniert Emily Brontës großen Roman „Sturmhöhe“ (Wuthering Heights) am Schauspielhaus Bochum. Die wilde Geschichte um Liebe, Einsamkeit und Hass wird von acht Darsteller:innen grandios dargestellt.

In der Uraufführung von Rainald Goetz‘ „Baracke“ vor anderthalb Jahren am Deutschen Theater Berlin ist es Regisseurin Claudia Bossard gelungen, geschickt  und humorvoll mit einem in mancher Beziehung schwierigen Stück umzugehen. Nun hat sie einen englischen Romanklassiker auf die große Bühne des Schauspielhauses Bochum gebracht. „Wuthering Heights“ wird immer wieder verfilmt, findet aber eher selten den Weg auf die Bühne. Die nicht nur für das 19. Jahrhundert ungewöhnliche Mischung aus Melodram, Schauermärchen und krassem Familiendrama macht den Reiz wie die Schwierigkeit einer Dramatisierung aus.

Breite Bühne – extreme Emotionen

Auf der weiten Bühne steht vorne links eine niedrige Wand mit Bildschirmen und hinten rechts für den Gutshof Wuthering Heights ein silberner Container (Bühne und Kostüm: Romy Springsguth). Verzerrt erscheinen zunächst Videobilder und der Sound von Kate Bushs Song „Wuthering Heights“; dazu ertanzt das achtköpfige Ensemble die Bühne, zwischen gemeinsamer Choreografie und expressiven, individuellen Ausbrüchen. Der Klang wandelt sich in harte Technorhythmen. Im Kontrast dazu führt uns der (im Roman integrierte) Erzähler (Dominik Dos-Reis) mit einem vermeintlich weichen Wiener Akzent in die Familie ein. Seine Co-Erzählerin, die Hausangestellte Nelly (Danai Chatzipetrou), berichtet ihm fröhlich über die Figuren, doch auch die Betroffenen selbst spielen bewusst mit im Rückblick auf die Jahre voller Verwirrungen, Abhängigkeiten unterschiedlicher Couleur und seelischer wie physischer Gewalttaten.

Die fast vierstündige Inszenierung in der Bühnenfassung der Regisseurin erinnert nicht nur in der Nutzung des Containers ein wenig an Castorf-Romaninszenierungen. Auch Bossard nutzt die Vorlage für expressive Breitwand-Enthüllungen intensiver innerer Konflikte und kraftvoller äußerer Kämpfe – mit einem stark aufspielenden Ensemble. Dabei halten Bossard und die Darsteller:innen jedoch bewusst die Waage aus – erstaunlich klar nachvollziehbarer – Darstellung des Handlungsablaufs und intensiven Szenen des Innehaltens und Ausbreitens der extremen Befindlichkeiten. So entsteht in einer starken Mischung aus Distanz und Nähe zu den Figuren einer schrecklichen Familie ein breites Panorama, eine geradezu epische Dramatik.

Stark aufspielendes Ensemble

Nina Steils spielt eine verschlossene, zurückhaltende, aber auch impulsive Catherine. Ihr Bruder (und teils ihr Neffe) wird von Alexander Wertmann zunächst als Verlierer eingeführt, entwickelt jedoch ebenso weitere Nuancen wie Konstantin Bühler als radikal religiöser und herrschsüchtiger Diener, Marius Huth als eitel-unsicherer Mann Catherines und Jing Xiang als erst zurückhaltende, dann alle Grenzen übertretende Schwägerin. Entsprechend zeigt der Container auf der Bühne nach Drehung bald mehr seines Inneren: nämlich einen wenig ansehnlichen Wohnraum. Victor IJdens ist schließlich der Außenseiter, der „Fremde“, der zunehmend die Macht übernimmt. Dieser Heathcliff ist durch seinen niederländischen Akzent als Außenseiter gekennzeichnet – während der ganz weiß gewandete Erzähler immer wieder fragt, warum die Figur des Findelkinds aus den Slums Liverpools denn „weiß“ besetzt sei.

Auch wenn Fragen nach Rassismus und Darstellung auf der Bühne oder „rechts Abbiegen“ immer wieder angerissen werden, konzentriert sich die Inszenierung ganz auf die historisch nicht eingeordnete Darstellung extremer Gefühlszustände. Victor IJdens spielt die zentrale Figur mit einer faszinierenden Bandbreite: Er ist anfangs durch Anpassung und Suche nach Liebe geprägt und entwickelt aus seiner Enttäuschung einen Hass, der eine unbändige Energie für Rache gebiert. Dazwischen blitzt immer wieder eine große naive, ja kindliche Offenheit auf. Doch am Anfang wie am Ende sitzt er mit leerem Blick auf einem alten Sofa und ist alleine auf weiter Bühne.

Kurze Verzerrungen blitzen nicht nur immer wieder im Ton (Video und Sound: Annalena Fröhlich) auf. Alle Gestalten finden in der Ödnis oder Schönheit der teils per Video eingespielten Schnee- oder Heidelandschaft nie ihre Mitte. Selbst der Erzähler und die teils moderierende Nelly werden zu verstörten Zeugen des Leids, das aus dem Inneren der Figuren kommt.