Foto: Szene aus "Sárka" am Staatstheater Braunschweig. © Karl-Bernd Karwasz
Text:Andreas Berger, am 23. März 2012
Walküren sind Waisenmädchen gegen diese böhmischen Amazonen. So lange trommelt ihre Anführerin Vlasta auf der Brust eines Gefangenen herum, bis er tot ist. Mit blutbeschmierten Tüchern kommen die Gefährtinnen aus dem Kampf gegen die Männer. Den stolzen Ctirad treiben sie gefesselt in einer Blutbahn vor sich her. Dazu ertönt pompöse Musik, heroisch wild in oft voller Orchestermasse dem Sprechtonfall folgend. Die späte deutsche Erstaufführung von Zdenek Fibichs Oper „Sárka“ im Staatstheater Braunschweig offenbarte ein heute nur noch schwer zugängliches Nationalepos in wenig raffinierten Tönen. Zwar ist allenthalben von Fibich als tschechischem Wagnerianer zu lesen. Aber wo Wagner mit dem kommentierenden Orchester klug psychologisiert, wo er Figuren kammermusikalisch aufbricht, sich verlieren lässt in zarten, spröden Dialogen mit einzelnen Instrumenten, bevor er sie wieder im Fluss der unendlichen Melodie mitreißt, da steht bei Fibich doch vor allem ein übersatter Monumentalismus.
Sebastian Beckedorf lässt das Staatsorchester vor allem laut und heftig klingen, was vorrangig sicher an der Partitur liegt. Wenn im zweiten Akt endlich mal Streicherweben und Flötenzwitschern das Waldidyll markiert, hätte er zum Ausgleich auf umso zartere Ausführung drängen müssen. Die Amazone Sárka lockt hier ihren Gegner Ctirad in eine Liebesfalle, um ihn zu töten. Doch plötzlich verliebt sie sich in ihn. Da stiften die Streicher mit abgehackten Strichen Unruhe, bis eine Geigenkantilene die neue Emotion auslebt.
Mit den inneren Konflikten der Hauptfiguren im dritten Akt wächst auch Fibich. Arthur Shen singt als Ctirad mit klarem Tenor eine zu Herzen gehende Arie, Rena Harms als Sárka ein letztes Liebesbekenntnis. Sie hat, um Ctirad vor dem Zorn der Frauen zu retten, ihre Gefährtinnen verraten, die nun von den Männern niedergemetzelt werden. Schrille Flötenstöße, abstürzende Tonleitern bereiten den Wahnsinn vor, der sich ihrer bemächtigt. Die blutverschmierten Schwestern erscheinen als gespenstische Prozession. Noch einmal finden die beiden Liebenden zu einem gemeinsamen Wort vom ewigen Frühling, der ihnen blühe, dann rennt Sárka in den Tod.
Mit leuchtend schönen, kraftvollen Höhen setzt Rena Harms ihrer Partie die Krone auf. Ihre schon sehr jugendlich-dramatische Stimme hat Fülle, Charakter und großartige Durchschlagskraft. Als strenge Frauenkriegerin Vlata kann sich neben ihr noch Julia Rutigliano mit einem satten Mezzosopran profilieren. Ensemble und Chor ergänzen stimmig. Nur die deutsche Übersetzung erweist sich als ärgerlicher Missgriff. Ständig muss die natürliche Betonung der Musik gebeugt werden. Hier hätte man nun wirklich Tschechisch singen müssen. Und wie geht man 115 Jahre nach der Uraufführung mit dem blutrünstigen Stoff nationaler Erbauung um? Konstanze Lauterbach hebt zu Recht auf den sozialen Grundkonflikt ab: Betont noch durch das Vorspiel aus Grillparzers „Libussa“, der sterbenden Königin, dankt hier die archaische, naturverbundene Kultur der Frauen ab, wird verdrängt von der modernen Zivilisation der Männer. Sie zeigt das in überdeutlichen Bildern. Frauen in Batikkleidern mit Baummotiv werden von den Männern im Anzug die Blumenkränze aus dem Haar gerissen, mit blauen Schürzen müssen sie sich fortan verhüllen. Das lässt Assoziationen zur Adenauer-Zeit ebenso zu wie zum Islamismus. Aber die Frauen kämpfen. Und obwohl Lauterbach sie nur mit verknoteten Betttüchern um sich schlagen lässt, wird die Bedrohung spürbar, die von ihnen ausgeht.
Als etwas renommistische Art des Wagnerismus wird man Fibichs „Sárka“ verbuchen müssen, da haben sich Smetana und Dvorák bescheidener und letztlich erfolgreicher verhalten, bevor Janácek den neuen Höhepunkt setzte.