Schmerzhafter Perspektivwechsel
Zumal die Innenansichten und persönlichen Reflexionen der Darsteller:innen in „Sturmtief O’Hara“ zentral sind. Das künstlerische Team inszeniert diese spannenderweise vielfach außerhalb des Theaters: Da ist zum Beispiel Franck Edmond Yao, der über die Parallelen der Bürgerkriege in den USA und in seinem Heimatland Elfenbeinküste spricht, während er auf einer Wiese im Nirgendwo über ein Schlachtfeld vertrockneter, knackender Gehölze tanzt. Oder der Tänzer Mason Manning, der von der heutigen Konförderations-Bewegung in den USA erzählt, während er sich gemeinsam mit Justus Ritter durch Erde auf einem Feld gräbt. Und Monika Gintersdorfer, die zugibt, den Roman „Vom Winde verweht“ in ihrer Jugend gänzlich unkritisch konsumiert zu haben. Dort, wo es um Ehrlichkeit geht und darum, einen Perspektivwechsel einzunehmen, wird diese Inszenierung durchaus schmerzlich und einnehmend – weil hier die Bedeutung der in „Vom Winde verweht“ transportierten Stereotype, Vorurteile und Rassismen für unsere Gegenwart erkennbar wird. Dazu sollte auch gehören einzusehen, dass unsere Theaterwelt ein weißes System ist, wie die schwarze Schauspielerin Sophia Hankings-Evans in einem persönlichen Statement auf der Bühne des Theaters Oberhausen festhält – keineswegs eine Randbotschaft der Produktion. Die Schauspielerin Hattie McDaniel erhielt 1940 für ihre Rolle als Kindermädchen in „Vom Winde verweht“ als erste schwarze Frau einen Oscar – und durfte bei der Verleihung weder den Tisch noch das Hotel mit ihren weißen Kolleginnen und Kollegen teilen. Auf der Bühne des Oberhausener Theaters hält Shari Asha Crosson eine fiktive Dankesrede McDaniels, so, wie sie heute klingen könnte und müsste, nämlich mit dem klaren Hinweis darauf, dass Ausgrenzung und Rassismus in Filmen nichts zu suchen haben. „Blow it away“ singt sie und macht damit deutlich, dass Ausgrenzung nach wie vor Bestandteil unserer Kultur ist.
Tänzerische Hommage
Tänzerisch reizvoll wird die Inszenierung derweil leider eigentlich erst im letzten Drittel, in den choreographierten Hommages an schwarze Aktivistinnen und Aktivisten wie Harriet Tubman oder die Widerstandskämpferin Yaa Asantewaa. Die performative, fragmentarische Form der Inszenierung passt zwar gut in das digitale Streamformat, hat aber durchaus auch etwas Zerstückeltes an sich. Zusammen mit dem digitalen Padlet, welches das Theater zusammengestellt hat und das reichlich weiterführendes Material zum Thema bereithält, hat das Projekt damit sowohl den Charakter der Dokumentation als auch des Augenöffners: Die Antwort auf die Frage jedenfalls, wie weit wir sind in Sachen Rassismus, kann einem wieder einmal im Halse stecken bleiben.