Foto: Sybille Weiser und Thomas Peters in "Der Bueßfertige" am Staatstheater Wiesbaden © Karl Forster
Text:Volker Oesterreich, am 1. Oktober 2018
Hier zählen die Worte, nichts als die Worte, die der amerikanische Erfolgsautor David Mamet in seinen Dialogen abfeuert. Das unterstreicht Tim Kramer mit seinem Regie-Purismus zwischen den drei klinisch weißen Bühnenwänden in der Spielstätte Wartburg des Staatstheaters Wiesbaden. Laboratmosphäre, gestaltet vom Bühnenbildner Matthias Schaller und wie geschaffen dafür, 100 Minuten lang einer blitzgescheiten Experimentieranordnung zu folgen.
Mit dem Psychotherapeuten Charles steht in der Deutschsprachigen Erstaufführung des Vierpersonenstücks „Der Bußfertige“ wieder einmal der Vertreter eines Berufsstands im Fokus, der sich im Verlauf des Abends um Kopf und Kragen redet. Ähnlich verhielt es sich schon in Mamets bislang meistgespielter Verbalschlacht „Oleanna“ (1992), darin geriet ein College-Professor immer tiefer in den Verdacht der sexuellen Belästigung, während in dem Frühwerk „Hanglage Meerblick“ (1985) der Erfolgsdruck in der Immobilienbranche zur psychischen Zerrüttung eines Angestellten führte.
„Der Mensch ist von Natur aus bösartig.“ Mit dieser unbedachten Äußerung verrät Charles gleich zu Beginn des „Bußfertigen“, dass er kaum an den Erfolg seiner Arbeit bei der Beratung eines jugendlichen Killers und Soziopaten glaubt. Durch ein falsches Zeitungszitat steht Charles in der Öffentlichkeit da als ein Therapeut, der während eines Prozesses nicht zu Gunsten seines Patienten aussagen will. Angeblich aus Schwulenhass. Doch dem ist nicht so. Sein hippokratischer Eid hindert den Psychoanalytiker daran, womöglich entlastende Details aus den Aufzeichnungen seiner Therapiegespräche bekannt zu geben. Überdies klammert sich Charles an die höhere Ordnung seines Glaubens; den Zwiespalt zwischen Gottes Wort und der vom Verstand geleiteten Bibelauslegung kann er nicht überbrücken. So manövriert sich der von Thomas Peters überzeugend gespielte Charles mehr und mehr ins berufliche Abseits, obendrein zerrüttet er auch noch seine Ehe mit Kath. Mit feinen Andeutungen zeigt Sybille Weiser, wie deren Nervenkostüm immer stärkeren Zerreißproben ausgesetzt ist.
Hilfe oder Kompromisslösungen will Charles nicht akzeptieren, weder die Argumente des befreundeten Anwalt Richard (Matze Vogel), noch die Erkenntnisse, die er aus dem religiösen Disput mit dem Staatsanwalt (Benjamin Krämer-Jenster) ziehen müsste. Dass sich Charles selbst bei einem der Therapiegespräche einen gravierenden Fehler geleistet hat und diesen Fehler durch seine vermeintliche Prinzipientreue vertuschen will, sorgt für die überraschende, für Mamet typische Wende am Ende. Das Wesen des Dramas sei die Lüge, sagte der Autor einmal. Am Ende stünde aber die Wahrheit, die zuvor „so lange übersehen, missachtet, verhöhnt und geleugnet wurde“. Ganz genauso verhält es sich im neuen Stück.
Tim Kramers zentraler Regiekniff ist, dass er die Dialogduelle nach jeder Szene mit einem Pistolenschuss beendet. Hart, ohrenbetäubend und unerbittlich. Abgefeuert werden sie hinter der großen, hellen Leinwand vom Schattenriss des sonst nie auftretenden jugendlichen Killers. Ein starker Effekt in Serie, der jedoch nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass „Der Bußfertige“ nicht ganz so publikumswirksam ist wie „Hanglage Meerblick“ oder „Oleanna“. Trotzdem feiern die Wiesbadener Premierengäste auch den neuen intellektuellen Schlagabtausch Mamets mit einhelligem Applaus.