Foto: "Das Rheingold" bei den Bayreuther Festspielen 2013. Die Drei von der Tankstelle: Martin Winkler als Alberich, Norbert Ernst als feuermelderroter Loge und Burkhard Ulrich als Mime im "Rheingold" - Auftakt des neuen "Rings des Nibelungen" bei den Bayreuther Festspielen. © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Text:Wolf-Dieter Peter, am 28. Juli 2013
Im Programmbuch wird die seit 150 Jahren andauernde Weltherrschaft des Erdöls kompakt dargestellt, auch die diesbezügliche Rivalität der USA mit Russland und das Auftauchen Chinas – als Deutungsebene für eine musiktheatralische Erzählung von Anfang und Untergang dieser unserer Welt zweihundert Jahre nach Wagners Geburtstag… Als sich nach wenigen Takten der „Weltentstehungsmusik“ am Beginn von Richard Wagners „Rheingold“ der Vorhang hebt, steht auf der Drehbühne von Aleksandar Deniç ein heruntergekommenes Motel an der US-Route 66: kaputte „TEXACO“-Leuchtschrift, kleiner Wannen-Pool, banal gemusterte Klappliegestühle und Würstel-Grill – last Exit „Out of Rosenheim“.
Drei junge Nutten, billig glamourös aufgetakelt, trocknen auf einer Wäschespinne ihre Dessous und singen vom Rheingold, das irgendwie im Pool zu schlummern scheint. Auf dem Dach des Motels zeigt eine Video-Wand die drei Mädels in einem anderen Pool herumtauchend. Ihr Geschäkere weckt einen bislang zugedeckt schlafenden Prolo: Es ist Alberich, dessen sexuelle Demütigung und Zurückweisung Regisseur Frank Castorf detailliert inszeniert. Das daraus erwachsende erste dramatische Zentrum jedoch: Alberichs Entscheidung, durch Liebesfluch Weltherrschaft zu gewinnen, das natürliche Rheingold zum inhumanen Herrschaftsring zu schmieden – das inszeniert Castorf nicht.
Obwohl er über die kurze Probezeit klagte, hat er sich für eine multi-perspektivische Erzählweise entschieden: Mehrere Kameramänner nehmen aus anderen Blickwinkeln oder anderen Räumen des Motels Sequenzen auf, die auf der Video-Wand zugespielt werden – mitunter befremdlich, weil noch in Kostümen der Proben. So ist Boss Wotan im Rosé-Smoking in seiner „Suite“ beim Geschmuse mit Fricka und Freia zu erleben, immer wieder wird ein hinzuerfundener Bar-Mann beim Cocktail-Mixen und Servieren eingeblendet, Auf- und Abgänge über die Flure, Großaufnahme eines Sängers… doch wer auf eine Bildvision des fertig gebauten Walhall hofft: kein „Xanadu“ à la „Citizen Kane“, später auch keine Vision der Ausbeutungsherrschaft im Nibelheim Alberichs. Dessen Verwandlungen per Tarnhelm in einen Horror-Drachen und eine Winz-Kröte werden als Filmchen mit einer Schlange auf Goldbarren und einer daneben sitzenden Kröte zugespielt – banal kleinformatig wie der Aluminium-Wohnwagen von Alberich und dessen goldgewandetem Bruder Mime. Um das abzufilmen, wird zur Verwandlungsmusik auf offener Bühne extra eine Dolly-Schiene für eine fahrende Kamera gebaut – Filmbild-Gewinn: minimal.
Alles spielt auf der Ebene prolliger Klein-Gangster oder im niederen Mafia-Milieu einer RTL II-Serie – der Aufstieg Wotans zum „Bankster“ von Welt-Format oder à la Rockefeller – vom Buchhalter zum Öl-Milliardär: Fehlanzeige. So bleibt auch Wotans Ring-Raub nach einer öden, nicht gefährlich lauernden Deal-Runde am Pool gänzlich unblutig. Alberichs „Ring“-Fluch – der zentrale Dreh- und Angelpunkt der ganzen „Ring“-Handlung! – wirkt nur musikalisch wie auch ein sonst eher „kleiner“ Auftritt: die Warnung Ur-Mutter Erdas.
Damit ist von sehr guten Sängern und dem Dirigat des Bayreuth-Debütanten Kirill Petrenko zu reden. Mit Martin Winkler war da der – neben Johannes Kränzle – beste Alberich-Bariton seit Jahren zu hören: kernig, mit dem bösen „Neidlinger-Schnarren“, fähig zu fahlen Farben und der vokalen Drohgebärde. Nadine Weissmanns Erda trat im goldenen Pailletten-Kleid und weißem, bodenlangen Pelz in einer Mischung aus Hollywood-Diva und protziger Oligarchin auf; doch dann sang sie ihre Warnung „Alles, was ist, endet – ein düst’rer Tag dämmert den Göttern“ dermaßen langsam eindringlich, dass dies zum Zentrum des Abends geriet. Zwar zeigt Castorf sie gleich anschließend in einer Küsserei mit Wotan (wir sind per Video dabei), doch da war die musikdramatische Formung von Kirill Petrenko auf ihrem Höhepunkt und dominant. Sein erster Abend im „unsichtbaren Abgrund“, dem versenkten Orchestergraben, macht herrlich differenzierte Nebenstimmen, Wagners Schichtung der Orchestergruppen hörbar.
Doch so groß Petrenko in den Zwischenmusiken auch aufspielen ließ: beim Sängereinsatz war die Dynamik sofort zurückgenommen, ohne an Klangsubstanz zu verlieren. Da gab es fließende Teile und eben den herrlich breit atmenden Erda-Auftritt. Zwar blieb der schmierige Mafia-Consiliere Loge von Norbert Ernst zu blass, doch alle übrigen Sänger beeindruckten, voran der sehnsuchtsvolle Bauarbeiter-Riese Fasolt von Günther Groissböck und der umtriebige Wotan von Wolfgang Koch. Während beim Fallen des Vorhangs, als Castorfs „Götter-Prolls“ auf dem Dach des Motels sangen und zum musikalischen großen „Einzug der Götter in Walhall“ rumstanden, erstes heftiges „Buh“ ertönte, wurden die Sänger und Petrenko einhellig gefeiert.