Foto: In der Wüste: (v.l.n.r.) Dino Lüthy, Cameron Shabazi, Magali Simard-Galdés und die Gambistin Margaux Blanchard © Paul Leclaire
Text:Andreas Falentin, am 2. Dezember 2020
Die Bühnenlandschaft ist eine Sandwüste, hügelig und von toten Ästen strukturiert und im Dunkeln von Lichtadern durchzogen, die zu Beginn silbrig, am Ende blutrot glänzen. Durch diese Landschaft hält sich das Ensemble auf, verharred, sitzed, kauernd, kniend oder liegend. Sand rinnt durch Finger, wird in Handflächen gesammelt, gestreut, verspritzt. Der Regisseur Benjamin Lazar zeigt George Benjamins 2013 in Aix-en-Provence uraufgeführte und danach recht häufig gespielte Oper als bescheidenes Ritual. Die theatrale Aktion entnimmt ihr Tempo und ihren Rhythmus aus der Musik und tritt ansonsten hinter diese, vor allem aber hinter das Libretto von Martin Crimp zurück. Es gibt kaum konkrete Handlungen. Wenn Agnés, die junge Frau im Zentrum, am Ende auf etwas Blutiges beißt, wirkt das fremd am Platz, fast unfreiwillig komisch – ähnlich der Limonade in „Kabale und Liebe“.
Dabei bietet die in „Written on Skin“ erzählte, auf einem anonymen, mittelalterlichen Text basierende Geschichte alle Möglichkeiten für eine heutige Auseinandersetzung. Weil die dramatische Struktur mühelos trägt und die Geschichte in keiner Weise alt geworden ist, was Lazar immerhin über die Kostüme von Adeline Caron, die auch die Wüste geschaffen hat, andeutet: Zu Beginn sind wir in einer stilisierten, mittelalterlichen Märchenwelt. Nach mehreren „Häutungen“ tragen Darstellerinnen und Darsteller dann Jeans und heutige Abendgarderobe.
Ein Mann hält seine jüngere Frau Agnés wie hinter Glas, liebt sie um ihrer – und damit seiner – „Reinheit“ willen, weswegen er sich nicht als Gatten, sondern als Beschützer („Protector“) bezeichnet. Drei stilisierte Engel bewältigen zunächst sardonisch rezitierend den Weg vom Jetzt ins Einst, kommentieren dann die Beziehung und verwandeln sich in Spielfiguren. Vor allem gibt es da den jungen Buchmaler, der die so oft ventilierte „Reinheit“ des Beschützers durch ein kostbares, wie auf Haut („on Skin“) geschriebenes und illustriertes Buch verherrlichen. Die durch Nichtberührung misshandelte Frau verliebt sich in den jungen Mann. Am Ende sind beide tot.
Was kann man in unserer Zeit der #Metoo-Debatten aus diesem Stoff machen! Zumal Partitur und Handlungsdramaturgie so bewusst künstlich und widerständig sind! Beim edel illustrierten Konzert im Kölner Staatenhaus ist der streamende Zuschauer dagegen ganz auf seine eigene Imagination geworfen. Das mag im Theatersaal vielleicht ansatzweise funktionieren. Am Bildschirm tut es das nicht.
Natürlich ist der Kölner Oper zugute zu halten, dass sie, wie alle Theater zurzeit, in großen Nöten ist. Nach der Verkündung des Lockdown Light Ende Oktober hat man sich hier entschlossen, darauf zu setzen, dass man im Anschluss umgehend wieder spielen darf und sogar einen kleinen Premierenreigen für die erste Dezemberwoche angekündigt. Zwei der angekündigten Produktionen, „Written on Skin“ und „Die Tote Stadt“, versucht man jetzt über Stream-Premieren und Folgetermine zumindest öffentlich zu machen.
Die hierfür kurzfristig engagierte Kölner Produktionsfirma Schnittmenge liefert ein in jeder Hinsicht professionelles Produkt ab. Der Wechsel von Totalen, Halbtotalen und Großaufnahmen ist unfallfrei, teilweise sogar elegant, mit Musik und Handlung synchronisiert. Dazu kommt ein Gespür für die Telegenität der Darsteller. In den langen Großaufnahmen entsteht, gerade bei Robin Adams (Protector) und Judith Thielsen (2. Engel), am Bildschirm dramatische Dichte und Spannung. Der besitzergreifende, gewalttätige wie prüde Mann erscheint uns gleichzeitig als Monster wie als arme Sau, was Adams mit seinem mustergültig beherrschten, sehr dynamisch geführtem Bariton beglaubigt. Thielsen erschreckt geradezu als hemmungslose Übelkrähe mit gnadenlos umarmender Widerlichkeit und führt doch ihren Mezzo, der in letzter Zeit anscheinend viele Farben dazugewonnen hat, schlank und schön. Cameron Shabazi (3. Engel und Buchmaler) steuert einen fast überirdisch schönen Countertenor bei. Magali Simard-Galdés charakterisiert Agnés sehr intonationssicher mit leicht wächsern und sehr individuell timbriertem Sopran, bleibt aber im Spiel ein wenig introvertiert. Dino Lüthy ergänzt mit fest gefügtem, kraftvollem Tenor.
Ein Manko der filmischen Umsetzung ist der (Nicht-)Umgang mit dem Gürzenich Orchester. Das sitzt, im Gegensatz zu den Solisten auf der Szene, mit überraschend geringem Abstand zueinander, im Schatten hinter der Bühne. Gerade bei Benjamins farbreicher, flächiger Orchestermusik, die mit subtilsten Klangverästelungen ein ungewöhnliches, auch erzählerisches, Eigenleben führt, wäre es schön gewesen, einzelne Instrumentengruppen oder auch einmal das Gesicht des Dirigenten Francois-Xavier Roth betrachten zu können, auch um so einen Mehrwert zu generieren, den Live-Theater nicht zu bieten vermag. Zumal auch die Abmischung des Orchesterklanges offensichtlich nicht im Zentrum der Bemühungen um dieses kurzfristig gestemmte Projekt stand.
Abschließend kann man sagen, dass die Oper Köln der anspruchsvollen, relevanten Oper „Written on Skin“ musikalisch vollumfänglich gerecht wird, szenisch jedoch mutlos bleibt und auf attraktive Optik setzt, statt das Stück für sich zu erobern. Was dem Haus im Exil in den letzten Jahren mit ungewöhnlich vielen Stücken unterlaufen ist.