Foto: Christoph Franken als Baal mit Daniel Hoevels in Stefan Puchers "Baal" am Deutschen Theater Berlin © Arno Declair
Text:Barbara Behrendt, am 2. Dezember 2014
So viel Aufwand, so wenig Wirkung! So viel Kunstanstrengung – und so gering der künstlerische Ertrag! Fast schon tragisch will es einem vorkommen, wie sorgfältig textnah Stefan Pucher im Deutschen Theater Berlin sich an Brechts „Baal“ abarbeitet – und wie meilenweit er den Kern dieses Textes verfehlt.
Alles, wirklich alles ist bedeutungsvoll ausgedacht. Nichts wird der Situation oder der schauspielerischen Intuition überlassen. Barbara Ehnes hat ein doppelstöckiges Spielpodest ins Bühnenschwarz gestellt, oben Aussichtssturm, unten eine Art Jurte, auf halber Höhe ein drehbarer Steg. Seitlich und an der Rückwand des Raums sind lebensgroße Skulpturen von nackten Männern und Frauen zu sehen. Schauspieler schieben Sitzgestänge hin und her, die Drehbühne kommt immer wieder in Fahrt. Oben rechts die Einspieler auf der Videoleinwand – teils Ergänzung, teils Doppelung, teils raffinierte Brechung der Bühnenrealität. Ein Ereignis für sich die Kostüme Annabelle Witts: Baal steckt in einem prächtigen Harlekinanzug mit Riesenhalskrause und rot verflecktem Oberteil (Blut oder Rotwein?), seine vier Mitspieler tragen schwarz-weiße Glockenröcke, die an klassische Pierrots erinnern, aber auch an Schlemmers Triadisches Ballett. Zirkus-Zitate en masse: dicke Schminke in weißen Clownsgesichtern, knallrote Münder, schwarz geränderte Augen.
Baal ist für Brecht der Berserker, der Säufer und Fresser, der Frauenverschlinger und Mörder, „amoralisch in einer amoralischen Gesellschaft“ – aber auch der genialische Poet. Und eben das will er in Puchers Inszenierung offenbar vor allem sein: der Anarcho-Künstler in einer artifiziellen Welt. Christoph Franken (in Größe, Wucht und Masse eigentlich ein echter Baal) klopft mit einem Meißel Figuren aus dem Holz, rezitiert Gedichte und schlägt die Gitarre. Und immerhin, da gibt es ein paar schöne lyrische Momente, wenn Brechts Text einmal ganz zur Geltung kommt. Aber das ist selten. Meist werden die Worte nur gebrüllt und gepresst, oder sie werden von der Hammondorgel zugedeckt, oder sie gehen unter in einem zweistündigen Kunst-Theater, das sich immer viel zu bedeutungsvoll und wichtigtuerisch gibt.
Unter den vielen Kunstsplittern, den zahllosen ästhetischen Verweisen ist der sinnliche, lebenspralle, existenzielle Glutkern des Stücks verschüttet. Um dann doch auch die regressive Naivität und das Animalische der Figur Baal zu zeigen, lässt sich Pucher rasch zu plumpen Überdeutlichkeiten verleiten: Baal, das ewige Kind, muss minutenlang am Daumen lutschen, und Baal, das Tier im Menschen, wird zuletzt ins Gorillakostüm gesteckt. Das aber ist ein Theater der Fingerzeige, hier führt permanente ästhetische Überhöhung zum blassen Kunstzirkus.