Foto: Ensemble in Schläpfers "b.10" an der Rheinoper in Duisburg. © Gert Weigelt
Text:Marieluise Jeitschko, am 31. Oktober 2011
Martin Schläpfer strebt seinem Ziel, das „Ballett am Rhein“ zu einer international führenden Compagnie aufzubauen, mit Riesenschritten entgegen. Zum Auftakt seiner dritten Spielzeit wartet der Ex-Mainzer in „b.10“, seiner zehnten Premiere in Düsseldorf/Duisburg, mit einem dreiteiligen Programm auf, das sowohl choreografisch als auch tänzerisch diesem Anspruch absolut gerecht wird. Die Neueinstudierung von zwei exquisiten Schläpfer-Kreationen aus seiner Mainzer Zeit dokumentiert eindrucksvoll, wie sehr die nun doppelt so große Compagnie sich in den außergewöhnlich virtuosen Tanzstil des Schweizers eingearbeitet hat. Dennoch bildet die Mainzer Garde weiterhin das Rückgrat gerade der älteren Choreografien. So zum Beispiel die unvergleichliche Yuko Kato in „Drittes Klavierkonzert“ von Alfred Schnittke. In sich gekehrt steht sie zu Beginn allein auf der großen Bühne, tanzt ihre Einsamkeit wie ein Todesvogel mit abgewinkelten Schwingen. Aus dem Dunkeln heraus nähert sich Remus Sucheana, fängt die Fallende auf. Sie entflieht ihm. Andere Männer kommen, stürzen nach kurzer Annäherung an die Frau zu Boden. Am Ende steht sie wieder allein – eine Frau zwischen Einsamkeit und Sehnsucht nach Zweisamkeit, zwischen Glück und Enttäuschung, Leben und Tod. Es ist ein düsterer, unheimlich kafkaesker „danse macabre“ zu Schnittkes hoch emotionaler Musik.
Ganz anders die Stimmung in „Tanzsuite“ auf Helmut Lachenmanns „Tanzsuite mit Deutschlandlied“, einer elektronischen Komposition mit verfremdeten Instrumentalklängen in einer bizarren Struktur. Tanzrhythmen sind kaum zu erkennen. Das Deutschlandlied klingt bruchstückartig zwischendurch an. Keso Dekker spiegelt das nervös Zerklüftete der Musik in den Projektionen auf dem Rückprospekt: uni-farbene Flächen flackern auf. Streifen, Striche, Punkte flimmern. Die Tänzer hat er in unifarbene, bunte Ganzkörpertrikots gezwängt. Schläpfer erfindet dazu fetzige Ensembles, witzige Tableaux und Spagatreihen. Altmeister Jörg Weinöhl, putziger Kompaniegeneral in schreiendem Hellblau, schnappt sich die ebenso gekleidete Marlúcia do Amaral zu einer Bodennummer verschlungener Körper. Bogdan Nicula fackelt ein Feuerwerk blitzartiger Sprünge und Pirouetten ab.
Jiri Kyliáns „Symphony of Psalms“ von 1978 auf Igor Strawinskys Musik gilt als Klassiker der Moderne. Acht Paare tanzen die drei Sätze des Chorwerks in streng strukturiertem Modern Dance. Ein Hauch von Kunstgewerblichkeit haftet dem sakralen Ritual an gegenüber den beiden ultramodernen Stücken in Schläpfers facettenreicher Handschrift.