Foto: Die neue Essener "Giselle" stammt von dem britischen Choreographen David Dawson © Bettina Stoess
Text:Isabell Steinböck, am 31. März 2014
Die helle Bühne aus halbrunden und kantigen Elementen wirkt wie moderne Architektur. Ein junges Paar jagt übermütig über eine Treppe, versteckt sich in Nischen. Es sind Giselle und Albrecht, die auf einer Hochzeitsgesellschaft ihre Liebe füreinander entdecken. Doch das Glück wird nicht lange währen. Hilarion, der das Mädchen schon lange verehrt, betrachtet die Verbindung mit Eifersucht. Als er entdeckt, dass Albrecht zu den Liebhabern der charismatischen Bathilde gehört, öffnet er Giselle die Augen. Wahnsinnig vor Schmerz und Enttäuschung stirbt die junge Frau, verwandelt sich in eine Wili (Waldgeist) und vergibt ihm schließlich.
„Giselle“ gilt als Inbegriff des romantischen Balletts und wurde seit der Uraufführung 1841 vielfach überarbeitet. Am Essener Aalto Theater hat der britische Choreograf David Dawson jetzt seine Version des Klassikers auf die Bühne gebracht (Bearbeitung von Adolphe Adams, Musik: David Coleman). Eine aufwändige Produktion, die in Kooperation mit dem Ballett im Revier und Gästen an die 50 Tänzer beschäftigt. Ab Oktober ist das Stück auch in Gelsenkirchen zu sehen.
David Dawsons Giselle ist eine moderne junge Frau, die zwischen den übrigen Figuren, die auf der Hochzeit mit rasanten Pirouetten, hohen Beinen und grandiosen Sprüngen beeindrucken, in ihrer mädchenhaft-unbefangenen Art heraussticht. Anna Kamzhina verkörpert die Giselle großartig in ihrer Anmut und brilliert als federleichte Tänzerin, Artur Babajanyan steht ihr als sympathisch-verliebter Albrecht um nichts nach. Beide meistern Dawsons anspruchsvolle Choreografie mit Bravour, wenn sie Hebungen in allen erdenklichen Positionen auf die Bühne bringen und sich dabei drehen wie Eiskunstläufer. Dazu passt Colemans schnörkellose Musik, gespielt von den versierten Bochumer Symphonikern unter der Leitung von Yannis Pouspourikas.
David Dawson bringt seine virtuosen Tänzer in diesem temporeichen 1. Akt an die Grenzen des Möglichen, wenn er klassischen Tanz mit modernen Bewegungen verbindet, die eine außerordentliche Koordination erfordern. Geradezu hektisch wirken manche Momente in den Ensembleszenen und man wundert sich kaum, als ein kleiner Unfall passiert. Im erotischen Pas de Quartre entgleitet Bridget Breiner, alias Bathilde, den Händen ihres Partners und stürzt zu Boden. Man kann nur hoffen, dass sie nicht verletzt ist.
Der 2. Akt ist wesentlich ruhiger choreografiert und bildet einen reizvollen Kontrast zur aufgeregten Gesellschaft des Anfangs. David Dawsons Wilis erscheinen in ihren weißen Tüllschleiern schwerelos und transzendent. Die Liebenden hält der Choreograf auf Distanz und macht ihre innere Verbindung gerade dadurch spürbar. Etwa, wenn Albrecht seine Giselle gar nicht sieht, und sich doch synchron mit ihr bewegt. Oder wenn seine tänzerische Dynamik immer größer wird, je länger sie in seiner Nähe ist. Das Paar scheint vollkommen miteinander verbunden zu sein, bis sich am Ende die Erde auftut und Giselle im Bühnenboden verschwindet. Wie zur Vergebung regnen Blütenblätter herab, erinnern an die vergangene Liebe. Albrecht bleibt allein zurück. Ein berührender Schluss für ein außergewöhnliches Ballett.