Text:Dagmar Ellen Fischer, am 5. September 2012
Coco Schumann, Jahrgang 1924, Gitarrist und KZ-Überlebender, entschloss sich nach 40-jährigem Schweigen doch noch aus seinem Leben zu erzählen: 1997 erschien seine Autobiografie „Der Ghetto Swinger“. Die liegt der gleichnamigen Bühnenfassung zugrunde, die am 2. September als Uraufführung die Spielzeit der Hamburger Kammerspiele eröffnete. Ein Unterfangen, waghalsig und mutig zugleich, das weder richtig schief ging noch wirklich gelang.
Regisseur Gil Mehmert, der schon mehrere musikalisch-theatrale Mischformen auf die Bühne brachte, reiht in der zweistündigen Revue (Schlüssel-)Szenen aus dem Leben des Musikers aneinander, die mal miteinander emulgieren, manchmal abrupt abreißen. Heinz Jakob Schumann ist „halb Weihnachtsbaum, halb Chanukka-Leuchter“, wie es in der Familie hieß, denn seine Mutter war Jüdin, sein Vater Christ. Den Vornamen Coco verpasste ihm eine französische Freundin, die er in einer jener Berliner Clubs traf, wo er als Jugendlicher verbotenerweise Jazz hörte und spielte: „Nigger-Musik“ war den Nazis ein Dorn im Ohr. Insofern vereinte Schumann gleich drei verdächtige Fakten in seiner Person: Als sogenannter Halbjude spielte er Swing-Musik und verführte eine „arische Frau“ – 1943 wird er nach Theresienstadt deportiert, später nach Auschwitz verfrachtet. Dort musste er für seine Mitgefangenen Märsche spielen, denn es war „von größter Wichtigkeit, dass diese Kolonnen fein säuberlich und im Gleichschritt ausmarschierten!“ Hatte die Musik ihn zuvor unter Verdacht gestellt, so rettete sie ihm im KZ das Leben, denn Orchestermitglieder genossen eine relative Schonbehandlung.
„Der Ghetto Swinger“ lässt kalt. Wenn die Band aufgrund einer Nazi-Razzia blitzschnell von verbotenem Jazz auf harmlose Polka umschalten muss, entsteht keinerlei Spannung; als die KZ-Insassen entkräftet in Decken gehüllt erneut verlagert werden, bleibt das Publikum seltsam unberührt. Helen Schneider ist als Sängerin großartig und als Erzählerin glaubwürdig; Konstantin Moreth überzeugt in der Titelrolle mit Unbedarftheit und Optimismus der Jugend in der ersten Hälfte des Stücks, als allmählich verzweifelnder Mann verliert sich sein Spiel in Neutralität. Wirklich berührend war allein der Moment, in dem der aus Berlin angereiste, 88-jährige Coco Schumann sich von seinem Platz im Zuschauerraum erhebt.