Oder Stoff-, Bilder- und Materialsammlung. Der Eindruck, dass Sebastian Baumgarten, Dramaturg Carl Hegemann und Bühnenbildner Joep van Lieshout erst eine Idee hatten, und später das Stück aussuchten, dem sie ihren Stempel aufdrücken wollten, drängt sich auf. Denn im Prinzip ließen sich mit der Idee eines totalitär organisierten Biokreislaufes auch zahlreiche andere (Wagner)Opern illustrieren. Ja, ja. Da ist ja auch noch die Rede von den beiden, Nietzsche entlehnten, auf „Tannhäuser“ projizierten Prinzipien des „Dionysischen“ – also Trieb-Gesteuerten – und „Apollinischen“ – also Intellekt-Gesteuerten. Natürlich ein Grundkonflikt im „Tannhäuser“. Aber man möchte ihn entwickelt sehen und nicht behauptet durch ein paar Schwarzweiß-Videos einer nackten Schönheit auf der Triebebene.
Diese Inszenierung holt eine längst überholt geglaubte Ästhetik der Berliner Volksbühne zurück in die oberfränkische Provinz, um vorzugeben, Avantgarde zu sein. Doch Theater wirkt noch immer durch sich selbst und nicht durch des Dramaturgen Behauptung. Ganz abgesehen davon, dass eine Conclusio, der zufolge Elisabeth entweder zum Engel oder zu Biomasse, Frau Venus mit Neugeborenem (Vater Tannhäuser?) wiederum zu ihrer Nachfolgerin mutiert, selbst toleranteste Interpreten herausfordert.
In Bayreuth spielt man übrigens einmal mehr die seit 1985 zur Firmenreligion avancierte erste – Dresdener Fassung. Richard Wagners Kompromiss – oder Weiterentwicklung – aus seinen Dresdner und Pariser Fassungen für Wien (und Bayreuth) schien kein Thema für die Neuinterpretation zu sein, obwohl die aktuelle Ausgabe von Wagners Werk dieser den Vorzug gibt. Man könnte es auch anders formulieren: Schade, dass die Bayreuther Festspiele das Privileg, einen aufführungspraktisch und historisch so versierten Dirigenten wie Thomas Hengelbrock engagiert zu haben, nicht künstlerisch profitabler nützen. Das Hügeldebüt des künftigen NDR-Sinfonieorchesterchefs in Hamburg und Gründers und Leiters des Freiburger Balthasar-Neumann-Chors und –ensembles hätte sicher spektakulärer ausfallen können. Im Sinne von erkenntnisreich. Immerhin: Hengelbrocks „Tannhäuser“-Lesart zeugt von einer äußerst detailgenauen, filigranen Nachzeichnung der Partitur, innerhalb derer eine geradezu kammermusikalische Transparenz vorherrscht. Mit Betonung auf straffen Tempi und einer oft sehr weichen Phrasierung. Grundlage seines Dirigats ist ein Faksimile des lithographierten Autographs.
Dass zwischen Hengelbrocks Ansatz und Van Lieshouts Fabrikhallenbühnenarchitektur ein ästhetischer Widerspruch in sich liegt, machen die Sänger hörbar: Zu dieser musikalisch höchst diskutablen „Tannhäuser“-Lesart gehörte ein weit intimeres, die Stimmen besser fokussierendes Szenario. Und vielleicht auch andere Stimmen? Lars Cleveman in der Titelpartie forciert gerade im ersten Akt Ton für Ton, ein martialisches Gestemme im längst überwunden geglaubten Bayreuther „Bellcanto-Stil“. Bis zum dritten Aufzug entdeckt der Heldentenor subtilere Seite seiner Stimme und überrascht mit einer sehr subtilen, freilich oft der Bruststimme entfremdeten Rom-Erzählung. Michael Nagys Wolfram ist, gerade was das auch nicht ganz intonationssichere Abendstern-Lied anlangt, noch steigerungsfähig, aber zweifelsohne auf dem Weg zu einem herrlich lyrischen (Opern-)Liedsänger. Dass Camilla Nylund, immerhin längst vertraut mit der Elisabeth-Partie, einerseits zu zuviel Dramatik neigt, andererseits mit Intonationsschwierigkeiten zu kämpfen hat (Gebet!), überrascht. Gegenüber Stephanie Friedes nicht nur intonatorisch indiskutabler Venus gehört sie eher noch zur musikalischen Habenseite dieser Premiere.
Martin Groissböck singt einen sehr martialisch-kantigen, aber zu jugendlichen Landgraf. Der Rest hat befriedigendes Niveau. Hervorzuheben ist Katja Stubers glasklar singender Hirt, dem Kostümbildnerin Nina von Mechow ein Dandy-Outfit mit hellgelbem Pullover verpasst und der offenbar immer betrunken sein muss – der Alkohol der Biogasanlage will schließlich konsumiert sein… Dem Chor (Eberhard Friedrich) schließlich widerfahren am Ende wahre Bravo-Hymnen. Ob die, zugegeben beeindruckende Martialik des Singens so ganz konform geht mit der Ästhetik des Dirigats, sei dahingestellt…
Heftige Buhs am Ende, vor allem für die Regie. Die hat nicht versäumt, kurz vor Schluss in Brecht’scher Manier auch Wagner selbst zu zitieren: „Ich bin der Welt noch einen ,Tannhäuser’ schuldig“, ist da zu lesen. Bezogen auf Sebastian Baumgartens Inszenierung wird keiner widersprechen. Und doch wirkt der Satz gerade deshalb wie eine Drohung.