Foto: Zum Wiedervereinigungsjubiläum: "Schlusschor" am Theater Hof . Oliver Hildebrandt (der Fotograf) und Ensemble © SFF Fotodesign, Hof
Text:Christian Muggenthaler, am 17. November 2014
Das Stück „Schlusschor“ von Botho Strauß widmet sich der deutschen Wiedervereinigung. Zumindest spielt sie eine Rolle in der dreiaktigen Sprachpartitur, die um die individuelle Wahrnehmung jedes Augenblicks und die Entheroisierung historischer Umstürze kreist. Weil jeder jeden Moment anders erlebt, zerfällt auch der Moment des Mauerfalls in individuelle Aufmerksamkeitssplitter. Strauß lässt also sein Personal schon beim beginnenden Schnappschussmachen herrlich durcheinander und aneinander vorbei quasseln, stellt dann die Vereinigung als radikal verunglückenden Liebesanfall dar und spinnt sich schließlich im Schlussakt flockig assoziierend durch ein gutes halbes Jahrhundert deutsche Geschichte – inklusive eines permanenten „Deutschland!“-Rufers.
Jetzt, 25 Jahre nach dem Mauerfall, in der einstigen Grenzstadt Hof, hat Caroline Stolz das Stück neu inszeniert und den ganzen Stoff mutig vom Kopf auf die Beine gestellt. Denn da Straußens wunderbare Partitur auch reichlich absurde Passagen enthält, übersetzt sie das Stück konsequent ins Komödiantische, ja, eigentlich sogar: in Slapstick. Eine Idee, die wunderbar zündet. Also sind die Schauspieler gekleidet in 20er-Jahre-Stummfilm-Kostüme, untenrum mit lächerlichen langen Unterhosen, allesamt grell geschminkt (Ausstattung: Jan Hendrik Neidert und Lorena Ayleen Diaz-Stephens). Die Bühne wird dominiert von einem Dutzend mobilen Türen, die nach Boulevard-Manier ständig auf und zu knallen und zuletzt ein großartiges Bild ergeben, wenn sie als Bundesadler gen Schnürboden fliegen.
Dazwischen ein flinkes, präzises Ensemble, das aus dem Stoff Witz um Witz rupft und auf die Bühne wirft, herumblödelt, herumabsurdelt, herumpointelt. Auf genau diese Art knackt die Regie den Text und gibt den Blick frei auf dessen Zentrum: Der so genannte „Mantel der Geschichte“ ist bei genauer Betrachtung nur ein lockeres Gewebe individueller Fädchen, die zur Laufmasche tendieren; der Witz der Inszenierung leuchtet durch diese in Text und Geschichtsbild angelegte Fadenscheinigkeit der historischen Wirklichkeit. Es gibt immer wieder herrlich durchgedrehte Szenen, etwa wenn im Schlussakt West- und Ostdeutsche erstmals aufeinandertreffen und ihre Zwiesprache mit grotesken Verständigungsgesten untermalen.
Auf dieser permanenten Bugwelle des allen Tiefsinn wegdrückenden Frohsinns schwimmt dann Straußens Sprache fröhlich einher: „Ich stehe wie gelähmt vor dem Reichtum meines Deutschs!“, sagt Lorenz, der so sehr in Delia verknallt ist, dass er sich zuletzt abknallt. Es kommt halt nicht zwingend zusammen, was nach der Meinung des einen zusammen gehört. Wie Thomas Peters diesen Lorenz durchspielt, diese ebenso alberne wie traurige, eitle wie verunsicherte Figur, jeden Moment präsent in seiner komischen Verzweiflung, ist eine ganz starke Vorstellung. „Deutschland!“? So gerne.