Foto: Alan Ayckbourns "Alle lieben George" am Staatstheater Nürnberg. Michael Hochstrasser, Pius Maria Cüppers © Marion Bührle
Text:Dieter Stoll, am 22. Februar 2015
Bei der ersten Szene der ungefähr fünfundsiebzigsten Komödie des britischen Amüsier-Großmeisters Alan Ayckbourn sind Marmelade und Zeitungsrascheln vorgeschrieben, und sie kommt jedem Theaterfreund irgendwie bekannt vor: Ehe-Krieg am Frühstückstisch. In der alsbald erweiterten Kampfzone von „Alle lieben George“, als deutsche Erstaufführung in Klaus Kusenbergs Inszenierung an den Nürnberger Kammerspielen, ist das die Probe einer Laienspielschar, aber auch ein Zeichen fürs intakte Selbstbewusstsein des Autors. Das neue Stück mit dem Zitat aus einem alten (vom Jahr 1965) zu beginnen, könnte jedoch sogar ein Zeichen von Selbstironie sein: „Halbe Wahrheiten“ hieß das vielgespielte Werk, und man darf vorweg schon mal bilanzieren, dass es auch 50 Jahre später bei diesem Autor der gepflegten Familien-Psychose nicht unbedingt um die ganze Wahrheit geht. Es ist wieder mal Pointen-TÜV im Mittelschichtwechsel.
Drei Paare und ein Phantom werden aufeinander losgelassen. Der allgegenwärtige George, von dem alle magisch angezogen sind, bleibt unsichtbar. Er taugt für feste Männerfreundschaft und lockere Affären-Sammlung gleichermaßen und rechnet als Krebskranker im Endstadium den Mitleidsbonus den eigenen Bedürfnissen gleich noch dazu. Die Frauen bemuttern ihn mit erotischen Restgedanken, für die Herren ist das fröhliche Opfer zwangsläufig „außer Konkurrenz“ unheimlich. Die Verwirrung nimmt ihren Lauf, der Stretch-Faktor der bürgerlichen Moral wird genutzt, am Ende ist sowieso alles wieder so ähnlich wie am Anfang, also bei großzügiger Rechnung vielleicht halb wahr. Niemand hat irgendwas gelernt, aber so ist halt das Leben. Wie schön, dass man über die Akteure anhaltend lachen kann.
Der fleißige Alan Ayckbourn, unter Europas lebenden Bühnenautoren wohl der weltweit Erfolgreichste und dabei zunächst Selbstversorger für die eigene Direktion in Scarborough, hat ja im immer noch „U“ und „E“ wie Trennmüll behandelnden deutschen Theater eine eigenartige Karriere am Laufen. Nachdem ihm lange Zeit der Spielplan-Stammplatz für gepflegte Unterhaltung ohne weitere Absichten reserviert war, stellten Peter Zadek und Andrea Breth einst die Ordnung auf den Kopf. Mit Bezug auf deren respektgebietenden Ayckbourn-Inszenierungen (Hamburg, Bochum, Berlin) ernannten die regierenden Trend-Kritiker den daheim längst geadelten Briten schnell mal zum verkannten Genie – für gefühlte zwei Monate. Danach wurde er wieder zurücksortiert, aber immerhin bereitet die renommierte Karin Beier ja grade am Deutschen Schauspielhaus Hamburg das Comeback fürs ätzende Boulevard-Bömbchen „Ab jetzt“ aus dem Jahr 1989 vor.
Der Text zur Nürnberger Deutschland-Premiere entstand 2010 und Regisseur Klaus Kusenberg gehört jenseits aller zickzackig verlaufenden Kunstbörsenstandsberichte seit Jahrzehnten zu den unerschütterlichen Fans dieses allemal meisterlichen Bonmot-Handwerkers. Weil er dabei auch die Fähigkeit hat, bei schillernden Dialog-Seifenblasen nicht nach Tiefsinn zu bohren, funktioniert „Alle lieben George“ unfallfrei nach den Gesetzen der Typen-Parade. Dafür kann der Schauspieldirektor, quasi in „Chefproduktion“, die Oberschicht seines Ensembles aufbieten. Jede Rolle ist glänzend besetzt.
Die Ausstatter Günter Hellweg und Franziska Isensee haben die breite Kammerspiel-Bühne zum sperrhölzernen Simultan-Spielplatz zur Spießer-Gedenkstätte ausgebaut. Niedliche Rasenquadrate und ein Klappstuhl-Spalier lassen den Gartenzwerg als drohenden Paten erahnen, wie mit der Laubsäge handgefertigt wirken die unverzichtbaren Feydeau-Türen für reibungslose Zu- und Abgänge. Szene frei zur Komödianten-Fütterung.
Der schrullige Doktor (Pius Maria Cüppers mit bewundernswert subtilem Jammerlappen-Flattern in jedem Seitenblick) mit seiner schnapsseligen Frau (Adeline Schebesch als Giftspritze ohne Ladehemmung), der wortkarge Landwirt (Thomas Nunner mit wunderbarer „Bauer sucht Frau“-Studie) und die zugelaufene Lehrerin (Elke Wollmann klemmt sie zwischen Nikotinsucht und Gefühlsbrause), der weinerliche Macho (Michael Hochstrasser poltert und flennt vergnügt immer an den Eckpunkten der Emotion entlang) und die zickige Ex-Kosmetikerin (Nürnbergs Extrem-Talent Josephine Köhler spielt schon wieder eine Bewerbungsunterlage für Herbert Fritsch). Nur George, der sie alle rührt und verführt, der als realistische Spielweise schätzender Liebhaber in die Laienspielschar einrückt und jede greifbare Frau zum letzten Liebes-Urlaub nach Teneriffa einlädt, den muss (man könnte auch sagen: darf) sich der Zuschauer selber vorstellen. Die Regie versteht sich als Animation, ordnet die Charakter-Comedy nicht allzu streng und freut sich am Wirbel der Begabungen auch dann noch, wenn die Energie nachlässt. Die Dialoge funkeln und knattern kräftig durch die ein wenig unterbelichtet bleibende Story. Am Ende war der enthüllte Beziehungsstress eben doch nur eine zwischenmenschliche Fitnessübung.