Foto: Die "Genesis" an den Münchne Kammerspielen neu befragt © David Baltzer
Text:Detlev Baur, am 28. Oktober 2018
Am Anfang war das Wort? Die Uraufführung von „#Genesis“, dem neuen Ensemble-Stück von Yael Ronen sucht und findet eine rein theatrale Antwort auf die Schöpfungsgeschichte des Alten Testaments. Theologische Fragen nach dem Wert des religiösen Wortes interessieren die israelische Theatermacherein und das sechsköpfige, internationale Ensemble dabei zunächst einmal nicht. Vielmehr geht es von Anfang an um Beziehungsprobleme – im weitesten Sinne. Noch vor dem heruntergefahrenen Eisernen Vorhang erklärt Damian Rebgetz auf Englisch seinen Abschied vom Münchner Publikum, anfangs vorsichtig und verschämt, zunehmend aber aggressiv sieht er sich als Opfer bayerischer Ignoranz und der lokalen Angst vor Globalisierung im Theater. Seine Interaktion mit dem überwiegend amüsierten Publikum und die verängstigten Übersetzungsversuche seiner Kollegin Wiebke Puls, die beteuert, dieses Theater nicht zu verlassen, sind ein erster schauspielerischer Höhepunkt der knapp zweistündigen Inszenierung. Bald veranstalten die Darstellerinnen und Darsteller eine gruppendynamische Beratung über Damians Vater und kommen von da zur Frage, ob Gott selbst Christ, Jude oder ungläubig sei.
Persönliche Fragen bestimmen dieses Bibelspiel dann auch, wenn sich der Vorhang mit Fanfaren-Musik öffnet und eine Drehbühne sichtbar wird (Bühne: Wolfgang Menardi). Auf deren Mitte werden Filmbilder projiziert (Video: Stefano di Buduo), mit schwimmenden Spermien oder mit alttestamentarischen Szenen aus der Kunstgeschichte, vom Paradies bis zum Mord Kains an seinem Bruder Abel. Diese eingespielten Bilder verbinden sich mit den immer wieder verwandelten Akteuren (Kostüme: Amit Epstein); die Rollen werden – natürlich unter Diskussion der Geschlechterzuschreibungen – verteilt und die fragenden Bibeldarsteller werden mit Hilfe der Spiegelbilder immer wieder zu Figuren auf den in Drehung versetzten Bildern. Die musikalische Begleitung (Musik: Yaniv Fridel, Ofer (OJ) Shabi) ist nun von elektronisch verfremdeten hebräischen Gesängen dominiert. Doch bald schlägt Zeynep Bozbay vor, es einmal mit dem japanischen Schöpfungsmythos zu versuchen, auch weil er mehr Möglichkeiten für Frauen biete.
Immer wieder wird Gott, von Samouil Stoyanov mit österreichischem Schmäh gesprochen, therapeutisch befragt, als überforderter, jähzorniger und konfliktscheuer Alleinerziehender. Das ist amüsant, zumal es von starken darstellerischen Akzenten begleitet wird. Die Urmutter Lilith, die in der jüdischen Kabbala auftaucht, wird ebenso als Gottes Gattin und Mutter von Adam und Eva durchgespielt wie eine mesopotamische Fruchtbarkeitsgöttin. Aber auch die Geschichte von Kain, dem Kind aus prekären Verhältnissen, wird zweifelnd untersucht: Daniel Lommatzsch fragt den selbstmitleidigen Mörder (Jeff Willbusch), woher er denn wissen wolle, dass Gott sein Opfer nicht angenommen habe.
Die Stärke der Inszenierung ist, dass sich die Ensemblemitglieder jenseits des ironisierten Spiels mit Adam, Eva und Kain autobiographisch mit ihren Fragen an den Anfang der Welt einbringen. Bei der Pfarrerstochter Wiebke Puls oder dem Sohn eines orthodoxen Juden, Jeff Willbusch, verbinden sich Beziehungsprobleme mit ihrem Vater mit Zweifeln an Gott-Vater. Willbusch berichtet im Anklang an die Opferung des Sohnes durch Abraham, wie er vom Vater zur Gottesbegegnung in die Wüste geschickt wurde. Daraufhin erscheint der Finger und dann der ganze göttliche, menschlich wirkende Schöpfer aus der Sixtinischen Kapelle im sich drehenden Bild. Er verschwindet, wird von einer farbigen Frau ersetzt, der Spiegel hebt sich nach oben und die sechs Akteure blicken fragend und sehnsüchtig in den Bühnenhimmel und kurz noch einmal ins Publikum. Black. Das virtuose, beziehungsreiche Spiel um die Schöpfung, um Macht und Männlichkeit bekommt hier schließlich doch noch eine fast metaphysische Note.