Der 1983 in Basel geborene Simon Stone hat weithin bejubelte Meriten vor allem mit Stückeüberschreibungen im Schauspiel erworben. In Aix-en-Provence mischten sich jetzt (hier durchaus unüblich) veritable Buhsalven in den Beifall. Wohl vor allem, weil er bei seinem Versuch, seine Methode auf den „Tristan“ zu übertragen, immer wieder gegen einen offenbar ausgeprägten Horror vacui aninszenierte und damit eher sein Misstrauen gegenüber dieser Musik ausstellte. In der Ouvertüre wuselt das gesamte Personal des Stückes im Luxusloft mit Panoramablick über die Dächer (von Paris?) bei einem Abendessen mit feierlichem Anlass durcheinander. Sieht aus wie ein Stück von Yasmina Reza: Ehepaar lädt ein, Eifersüchteleien brechen aus usw. Der ganze erste Aufzug bleibt in diesem Raum gefangen, nur der Ausblick wechselt zu wogendem Meer wie der Blick aus der Kabine eines Luxusliners.
Der zweite Akt wechselt in ein Großraumbüro – offensichtlich der Firma Marke. Wegen Homeoffice sind die 18 Arbeitsplätze schnell geräumt fürs nächtliche Treffen von Isolde und Tristan. Wenn dann die Nacht der Liebe herniedersinkt, illustriert Stone diese singuläre Liebesszene. Während die Musik sagt, was zu sagen ist, um das Grenzüberschreitende zu imaginieren, fängt Stone an, nach und nach mit vier Paaren die große Utopie einer Liebe jenseits des störenden Tageslichtes zu demontieren. Von ganz jung und überschwänglich mit Sex auf dem Chefschreibtisch, mit reinplatzendem Kind der Frau und aufkreuzendem Ehemann, bis zur Gattin, die ihren Mann im Rollstuhl notfalls mit Sauerstoff versorgt. Der Clou dieser Lesart, bei der rein technisch immer irgendwas fein detailliert Ausgedachtes passiert, ist dann der Krimi in der Metro im dritten Akt. Da fährt Stone mit seinen Protagonisten ganz wortwörtlich unter der Oper durch. Es ist eine Geisterfahrt in der Alltagsbanalität in einem Waggon der Pariser Metrolinie Nr. 11. Mit zwei herausgeputzten potenziellen Opernbesuchern und dem bunt gemischten Publikum, samt Mikrodramen, wie es in der Metro halt so ist. Im Dunkeln, mit Halt an diversen Stationen, aber auch mit Blick auf Meer und Berge. Und mit der Endstation Châtelet. Operá wäre zwar ein hübscher Kalauer gewesen, aber da hätte man umsteigen müssen. In der Metro und mit der Inszenierung.
Bei dieser abenteuerlichen Fahrt ist es so, dass die von Anfang an eifersüchtige Gattin (Isolde) das Handy ihres immer Ausschau nach anderen Frauen haltenden Gatten (Tristan) kontrolliert und ihn erst vom smarten Sitznachbarn (Melot) abstechen lässt, dann aber nach ein paar Stationen wieder zusteigt und, als Gipfel der Banalisierung, zum Liebestod ihrem Mann den Ehering zurückgibt, um mit ihrem Lover an der Endstation einfach auszusteigen. Liebestod als Beziehungs-Aus bei eifersüchtigem Großstadtpaar. Banaler geht es nicht. Und weiter weg von der Musik auch nicht.
Stone hat viel Mühe auf das illustrierende Drumherum verwendet, lässt meist auch da was passieren, wo es nicht nötig ist, ja sogar stört. Dabei schert er sich nicht um die innere Logik seiner Überschreibung im Detail. Vor allem vermeidet er es geradezu panisch, sich auf Wagners Utopie einzulassen. Zu allem, was man hört, sagt die Szene: Das kann nicht sein. Man hört „Höchste Lust“ und sieht den Metro Bahnsteig im Zentrum von Paris. Das sollte nicht sein.