Foto: Michael Maertens gibt eine Einführung in den Transhumanismus: „Die Maschine in mir (Version 1.0)“ am Wiener Burgtheater. © Marcella Ruiz Cruz
Text:Jens Fischer, am 3. Januar 2021
Nach der Bestellung der Eintrittskarte flattert ein Link des Ticketdealers ins E-Mail-Postfach. Zum Draufklicken wird man genötigt. Wer das Theater besuchen wolle, könnte in unserer Lockdown-Zeit zumindest virtuell anwesend sein, erklärt dann Burgtheatermime Michael Maertens mit brachial emotionsloser Stimme und versteinerter Mimik. Ein Sprechroboter mit dem Antlitz des Schauspielers? Oder hat sich der Schauspieler bereits in „Die Maschine in mir (Version 1.0)“ verwandelt, wie der Titel seines Monologs verheißt?
Egal, man muss seinen Menschmaschine-Anweisungen folgen und mit der Webcam des Laptops drei Videos von sich in typischen Publikumshaltungen hochladen: mal ernst gucken, mal lachen, mal schlafen. Als Lohn wird ein weiterer Link zugestellt, mit dessen Aktivierung sich der Live-Stream freischaltet. Dort kann man sich selbst dann auf einem Tablet ernst gucken, lachen oder schlafen sehen, ebenso 99 weitere Besuchervideos auf ebensolchen Bildschirmen, die an der Tribüne der Burgtheaterspielstätte Kasino fixiert sind. So ist jeder Zuschauer anwesend – zumindest als digitalisierter Verweis auf die eigene Existenz – und damit auch schon mitten im Thema: Angekündigt ist schließlich eine Einführung in den Transhumanismus.
In einem zurückhaltenden Erklärduktus widmet sich das britisch-irische Regieduo Dead Centre, Bush Moukarzel und Ben Kidd, dem Sujet. Maertens gibt den Referenten mit Entertainerqualitäten. Nicht einen Androiden spielt er, sondern den etwas starr wirkenden Publizisten Mark O´Connell, als der er über die Recherchen zu seinem Buch „Unsterblich sein“ berichtet. Aber auch die Blasenschwäche des Autors anspricht und so schon mal den Körper als mangelhaftes und mit dem eigenen Verfall programmiertes Gefängnis des Geistes beschreiben und der Sehnsucht nach formidableren Verkörperungen Ausdruck verleihen kann. O´Connell berichtet durch Maertens, dass auch Transhumanisten ja nur die immer ähnlichen Erzählungen der Menschheit fortschreiben würden und in quasi religiöser Weise nach Erlösung von der eigenen Unzulänglichkeit suchen. Wollen sie doch die weitere Evolution selbst in die Hand nehmen und das Menschsein hinter sich lassen, um so von den Grundproblemen der Existenz befreit zu werden. Als da wären eine immer ungewisse Zukunft, der scheinbar unhintergehbare Tod und die mit Sinn auszustattende tägliche Mühsal.
Aber die Abschaffung all dessen wird eben nicht als Akt des Humanismus gedacht, der den geistigen Mensch mittels Erziehung oder Bildung zu einem besseren Exemplar seiner Art machen, also moralisch optimieren will, sondern als Spiel praktiziert, in dem der physische Mensch – als Corona-Viren-Überträger ja auch gerade übel beleumundet – durch Technifizierung zu einem optimiert funktionierenden Ding werden soll, beispielsweise für die Verwertungsinteressen der Hightech-Konzerne. Denn das Zusammenwachsen von Mensch und Maschine verschafft denen, die die Infrastrukturen dafür entwickelt haben, eine unermessliche Macht, allein das Verschmelzen der Menschen mit ihren Smartphones zeigt ja bereits das beträchtliche Potential zur Überwachung und Steuerung menschlicher Körper.
Passend dazu erzählt Maertens/O´Connell von Begegnungen mit den technikgläubigen Denkern, sektiererischen Bastlern und visionären Wissenschaftlern des Projekts Cyborgisierung – etwa Tim Cannon. Er hat ein Messgerät für den Unterarm entwickelt und sich implantiert, bioemetrische Daten wie die Körpertemperatur sendet es an einen Computer, der daraufhin die Heizungsanlage des Bio-Hackers entsprechend hoch- und runterregelt. Eine Entwicklung, der Fitnessarmbänder, Apple-Watches und Smart-Homes ja Vorschub leisten.
Wie sich dadurch der Blick aufs Leben verändert, wird deutlich, als Maertens ein Video seines Babys auf einem Tablet zeigt, dabei von der Fragilität des knödelig kleinen Wesens berichtet, dann das Tablet zu Boden wirft… oh, die Fragilität der schnieke designten Technik, mag der eine oder andere da zusammenzucken. War aber alles nur Show. Maertens hebt den kleinen Computer wieder auf und hält ihn unbeschädigt ins Bild mit dem freundlichen Impetus: Fühlt mit Menschen, nicht für Maschinen.
So eingestimmt wirken die vorgestellten Ideen des Raymond Kurzweil, Googles Entwicklungsminister und Forscher gegen das Altern, noch skurriler, als sie es eh schon sind. Will er doch sein ganzes Hirn in einer Cloud abspeichern und so unsterblich werden. Ähnliche Ansinnen unterstützt Max More, in flüssigem Stickstoff lagert er für seine Kryonik-Firma die Leichen von Haustieren und Menschen ein, die dafür in der Hoffnung bezahlt haben, in einer weiter entwickelten Zukunft aufgetaut und wieder verlebendigt zu werden.
Die Plauderei über solche besonders freakigen Missionare des Transhumanismus ist dramaturgisch und schauspielerisch kein großes Theatererlebnis, auch ästhetisch erstaunlich bieder, da unversucht bleibt, das eigene Medium mal transhumanistisch, also ohne das Hindernis des Körpers neu zu denken. Aber über knapp 60 Minuten ist inhaltlich eine stets anregende, wenn auch nie vertiefende Lecture Perfomance zu erleben für alle Neueinsteiger in die Science Fiction-Welt der Menschheitsüberwindungsdiskurse. Die unterschwellig deutlich kritische Haltung des Autors und der Regie soll wohl emanzipatorisch Reflexe auslösen, könnte aber auch fatalistisch wahrgenommen werden. Vor allem aber stellt die Darbietung wie jeder gute Theaterabend die Frage, was unser Menschsein eigentlich ausmacht. Was ist eine Person mehr als Bewusstseins-Software, die auf einer Hardware aus Fleisch läuft, wie Transhumanisten behaupten? In Wien soll es darauf ab dem 22. Jänner wieder Antworten live und in körperlicher Kopräsenz auf der Burgtheaterbühne geben.