Mit „Hausmusik“ und „Tanz!“ ist der zweigeteilte Abend überschrieben, wobei allein die erste Hälfte aus drei musikalisch gegliederten Abschnitten besteht. Die Eröffnung übernimmt die Sonate für Klavier und Violine Nr. 7 c-Moll op. 30 Nr. 2. Aleix Martínez, der schon 2018 im „Beethoven-Projekt“ dem Komponisten Gestalt verlieh, dominiert hier als sich verzaubert zwischen den Live-Musikern bewegender junger Mann (Mari Kodama am Piano und Anton Barachovsky an der Violine). Doch schon bald scheint er verwirrt und isoliert, eine Konfrontation mit seinem Alter Ego (Jacopo Bellussi) verspricht Halt zu geben, und im Pas de deux mit einer inspirierenden Muse (Hélène Bouchet) eröffnen sich neue Perspektiven. Sich seiner Sehnsucht zu überlassen, erlaubt er sich indes nicht: Die verlangend ausgestreckte Geste eines Arms wird bald von ihm selbst wie unter Zensur zurückgezogen.
In der Bühnenmitte hebt sich der Vorhang und gibt den Blick auf das Philharmonische Staatsorchester Hamburg und ein ornamentales Bühnenbild (Heinrich Tröger) im Hintergrund frei. Zum ersten Satz aus Beethovens einzigem Oratorium „Christus am Ölberge“ op. 85 vollziehen sich gravierende Änderungen im Leben des Komponisten: Seine fortschreitende Schwerhörigkeit schließt ihn zunehmend vom gesellschaftlichen Leben aus, durch selbstgewählten Rückzug tut er ein Übriges; hinter dem Orchester erklimmt er ein Podest, auf dem ein Flügel und sein Alter Ego auf ihn warten. Den melancholischen Pas de deux begleitet Tenor Klaus Florian Vogt, der von Christus’ Angst vor den ihm drohenden Leiden singt – eine Parallele zu Beethovens Angst vor der Taubheit.
Zur Klaviersonate Nr. 21 C-Dur op. 53 trifft Martínez/Beethoven erneut auf seine Inspiration, traut jedoch seiner Wahrnehmung nicht recht, wie seine Bewegungen erzählen. Umarmungsversuche gehen leer aus, und seine Persönlichkeit fächert sich in unterschiedliche Aspekte auf.
Nach der Pause erklingt die sehr rhythmische Siebte Sinfonie, die sich auf tänzerischer Ebene während der vier Sätze zu einem rauschenden Fest voller Übermut und Lebensfreude steigert. Solisten und Ensemble tanzen – jetzt in weißen und schwarzen sowie in Kostümen in den drei Grundfarben (Albert Kriemler) – mit ungebändigter Kraft und strahlen, nicht etwa, weil es zum Ausdruck gehört, sondern weil sie vor Tanzlust sprühen. Von den beiden Ersten Solisten Madoka Sugai und Alexandr Trusch springt der Funke leicht in den Zuschauerraum über. Der personifizierte Beethoven bleibt ein Fremdling, doch immerhin mischt er sich lächelnd unter die folkloristischen Formationen und genießt die ausgelassene Fröhlichkeit. Im Schlussbild schwebt er waagerecht auf den ausgestreckten Armen seines Alter Egos, der sich endlos um sich selbst dreht.
Die akustische Vielfalt von Kammermusik, Oratorium, Klaviersolo und Sinfonie schickt das Publikum durch ein großes Spektrum an Emotionen. John Neumeier zieht eine kongeniale tänzerische Ebene in die Partituren ein. Und wird mit Standing Ovations und Bravo-Rufen bedacht.