Laute, schrille und leise, intensive Szenen hat Regisseur Falk Richter kunstvoll miteinander verwoben, wilde Explosionen des frustrierten, weil wertlos gewordenen jungen weißen Arbeiters (Matti Krause) von den ruhigen, aber keineswegs beruhigenden Worten von Ilse Ritters Dichterin abrupt ablösen lassen. Direkt zuvor schwiegen noch in einer königlich bestuhlten Talkshow-Runde die frustrierten Sprecher und Sprecherinnen: „Wir haben ausgeredet.“ Mit Anne Müller, Julia Wieninger und Ilse Ritter spielen und sprechen drei unterschiedlich alte Darstellerinnen die Alter Egas der Autorin: Müller nervös-dringlich, Wieninger klar und umso trauriger; nur die überdeutliche Zuordnung der Dichterin am Ende ihre Weges zur älteren Diva Ritter, erscheint bei aller Souveränität ihres Spiels als eine etwas plumpe Zuordnung. Insgesamt aber findet diese Uraufführung beeindruckende und stimmige Töne und Bilder für das Stück der Nobelpreisträgerin, das ziemlich sicher die Saison (und die im Frühjahr anstehenden Festivals von Heidelberg über Mülheim bis Berlin) bestimmen dürfte.
„Am Königsweg“ ist der Monolog einer heiter verzagten Autorin, die sich als blinde Seherin sieht, und die klar erkennt, dass die Welt am Abgrund ist. Ihr Abgesang konzentriert sich über das eigene Schreiben auf ihre persönliche Perspektive; dabei ist der Text aber gerade nicht selbstverliebt oder egozentrisch. Vielmehr beschreibt die Hauptfigur der Autorin ihre eigene Hilflosigkeit im Bezug auf das bestimmende Phänomen der Gegenwart, den (niemals namentlich genannten) aktuellen Präsidenten der USA. Er scheint in ihrem panoptischen Monolog als blinder, verblendeter, verstümmelter König in der Tradition des König Ödipus auf. Wieder verbindet Elfriede Jelinek in ihrem neuen Stück antike Motive und gegenwärtige Tragik. Jenseits der billigen, kabarettistischen Entzauberung des tumben Trump bespricht sie ihn als Auswuchs einer verblendeten Gesellschaft, deren Teil sie selbst ist. Diese zugleich subjektive Begrenzung wie globale Erweiterung des Teufels Trump macht die besondere Größe dieses Werks aus.
Die Hamburger Uraufführung wird diesem verbindlichen Riesenmonolog auf bemerkenswerte Weise gerecht. Sie überfordert das Publikum durch sehr wechselhafte Szenen und teils unerträglich viele Bildprojektionen und streicht unter Hinzufügung neuer Szenen und Songs notwendigerweise lange Passagen des Originaltextes. Wenn Idil Baydar an ihrem Handy „Siri“ aktiviert, berichtet eine elektronisch abgeflachte Stimme von Abrahams Mordstheater mit dem eigenen Sohn. Hier zeigt sich, dass Jelineks Sprache gerade in großer Einfachheit eine soghafte Bühnenwirkung entwickeln kann. Auch bescheidenere (der bereits jetzt für diese Saison sechs weiteren geplanten) Inszenierungen können also nach dieser brillanten Uraufführung mit dem Text noch ihre Bühnenwirkung entfalten.