Foto: Szene mit Perra Inmunda, Amelie Willberg und Meo Wulf © JR Berliner Ensemble
Text:Barbara Behrendt, am 22. September 2023
Sibylle Berg hat ein neues Stück geschrieben – und natürlich ist es eine Dystopie. Einmal mehr arbeitet sich die bissige Autorin an Chat-GPT und Künstlicher Intelligenz ab und schickt die Menschen in den Weltuntergang. Neu ist nur: die Uraufführung läuft am Berliner Ensemble.
Lieber Mensch sein oder Maschine? Maschine natürlich, wenn man auf diese Bühne schaut. Die Künstliche Intelligenz, die hier von drei Schauspieler:innen verkörpert wird, ist nämlich deutlich abgründiger, kreativer und, naja: menschlicher, als die drei echten Zweibeiner.
Mit Alien-Köpfen, Efeu-Anzug und überlangen Wurzel-Klauen sind diese KI-Figuren die Dompteure in der ewig zirkulierenden Zirkus-Manege auf der Bühne, in der die Menschen vorgeführt werden. Und lachen sich ins Fäustchen, wie doof der Mensch war, all seine Macht an sie abzugeben: „Dann haben sie sich von uns verwalten lassen, dann überließen sie uns ihre Einkäufe und ihre Selbstbefriedigung. Die Kontrolle ihrer Kinder. Die Entscheidung über das Leben und Sterben ihrer Kranken, ihre Gehirne, die Exekution ihrer Straftäter…“
Die Welt ein Game, die KI der Herrscher
Tja, und jetzt bewegen sich die Menschen selbst wie Maschinen: Arme und Beine leicht versteift, das leuchtende Display mit der Hand verwachsen, sind sie zu Avataren ihres eigenen Lebens geworden. Und die Welt ist zum Game mutiert: „Prima Leben“ heißt es, und in der hübschen Basisversion mit digitalem Meeresrauschen und vermeintlich unendlichen Möglichkeiten lebt es sich zunächst noch ganz komfortabel: „Seit ich Chat-GPT benutze, bin ich in der Lage, Theaterstücke zu schreiben.“
Avatare im eigenen Leben © JR Berliner Ensemble
Trotz Massenentlassungen, synthetischen Lebensmitteln, erzwungener Organspende, Totalkontrolle und einem Wachstum, das sich auf Krebsgeschwüre beschränkt. Der Mensch, heißt es, hat einfach nicht verstanden, dass all sein digitales Geld, seine digitale Musik, Kunst, Arbeit, Erinnerung weg ist, sobald die KI den Strom abstellt. Er hatte eben andere Probleme: „Meine Barista-Hafermilch wurde nicht geliefert.“
Kein Wunder, dass die KI mit einem Downgrade reagiert. „Das Gejammer der Menschen“, sagen die KI-Aliens, „war der Grund, sie weg zu machen.“ Dieses neue „Prima Leben“ ist dann weniger angenehm. Auf der Leinwand ziehen keine weißen Wölkchen mehr vorbei, sondern grüne Smogschwaden. Die Straßen sind überflutet, Leichen schwimmen vorüber, die QR-Code gesteuerte Essensausgabe ist mit dem Strom weggefallen. Und der Aufstand längst niedergeschlagen: „Als die ersten Serverfarmen brannten, kamen die Einsatztruppen, die Panzer, Sturmgewehre. An diesem Tag starben sechstausend Menschen.“
Kulturpessimismus vom Feinsten
Diese tiefschwarze, ätzende, kulturpessimistische und jede Wokeness verachtende Weltsicht der Autorin ist natürlich nichts Neues. Mit Ironie, schrillem Witz oder heiterem Augenzwinkern inszeniert, kann man diesen Bergschen Übertreibungsgrotesken bei aller Jammerei so manche Wahrheit abringen.
Doch trotz Karaoke-Show, Blockflöten-Soli und Video-Flimmern nimmt der Regisseur Max Lindemann Sibylle Berg letztlich viel zu sehr beim Wort. Bislang war das Maxim Gorki Theater Bergs Uraufführungshaus, dort wurden die hoch energetischen, überdrehten Inszenierungen von Sebastian Nübling gefeiert. Nun ist ihr neues Stück zum Berliner Ensemble gewechselt, für das sie auch in Zukunft schreiben möchte. Depressiv schlurfen die menschlichen Heulbojen in Lindemanns Inszenierung über die Bühne – viel Interesse für sie kann man nicht entwickeln. Dieses illustrative und ernsthafte Inszenieren legt zudem die Schwachstellen des Textes bloß: Der raunt sich nämlich allzu sehr durch eine unbestimmte Zukunft und wabert sein „Früher war alles besser“-Diktum durch die Zeilen. Nur hier und da knallt mal eine scharfe Pointe.
Das führt zum Einen dazu, dass Bergs überspitzte Gesellschaftskritik mitunter ultrakonservativ daherkommt, wenn der Mensch resümiert: „Und wenn ich auf mein Leben gucke, dann muss ich sagen: Seine Höhepunkte waren Serien. Auf dem Bett, mit geliefertem Essen. Und die Anerkennung im Netz, wenn ich ein provokatives Meme gepostet hatte. Und Meinungen, die ich hatte, weil alle sie hatten. Und das gute Gefühl, einer von vielen zu sein, die mit ihrer Meinung irgendwie links und korrekt und jung waren. Und die Verachtung für alle, die eine andere Meinung hatten.“
Zum anderen evoziert es, dass uns diese zombieartigen Jammerlappen auf der Bühne herzlich wenig angehen. Sogar wenn ihnen am Ende der Saft abgedreht wird. „Es kann doch nur noch besser werden!“ Sind die letzten Worte der KI. Und auf diese apokalyptisch gezeichnete Horrorwelt trifft das tatsächlich zu. „Wir ziehen den Stecker. Gute Nacht.“