Kriegstraumata

Heinrich von Kleist : Prinz Friedrich von Homburg

Theater:Schaubühne, Premiere:14.11.2023Regie:Jette Steckel

Jette Steckel inszeniert zum ersten Mal an der Schaubühne Berlin. Aus Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ macht sie einen arg bombastischen Antikriegs-Blockbuster – der aber einen Nerv trifft.

Ein Schlachtfeld. Sandsäcke sind meterhoch zu einem steilen Hügel aufgetürmt – der Schützengraben. Er nimmt die ganze Bühne (von Florian Lösche) ein, diesem Krieg entkommt niemand. Wer hier auftritt, der robbt und strauchelt und fällt.

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Auge in Auge mit dem Feind hat der Prinz von Homburg zuerst geschossen. Jetzt kann er den Todeskampf des jungen Mannes in moderner Uniform nicht aushalten. Der röchelt, spuckt Blut – und Homburg schreit und weint vor Schuld und Scham. Dazu sausen die Bomben durch die Luft, die Gewehre knattern, der Rauch zieht über den Horizont. Man fühlt sich wie in Edward Bergers blutiger Verfilmung von „Im Westen nichts Neues“.

Mit seinem „Prinz Friedrich von Homburg“ wollte Heinrich von Kleist 1810 die Gunst des Preußischen Hofes erwerben – aber dort konnte man wenig mit dem Stoff anfangen. Kein Wunder, ist dieser Prinz doch ganz anders, als man sich einen Helden vorstellt: Er schlafwandelt, er fantasiert von Ruhm und Liebe, er widersetzt sich den Anweisungen des Kurfürsten in der Schlacht und setzt so das ganze Kriegsgeschehen aufs Spiel. Und: Er hat Angst vor dem Tod.

Homburg als traumatisierter Soldat

Bei Renato Schuch ist er nun kein naiv von Ruhm und Liebe Träumender, sondern ein traumatisierter Soldat, der nicht weiß, ob das noch die Realität ist, in der er lebt, oder schon die Hölle. Den Befehl, den der Kurfürst erteilt, überhört dieser Prinz nicht nur, weil er von seiner Liebsten träumt, die hier übrigens ebenfalls Soldatenuniform trägt. Sondern weil Geister und Schatten ihn verfolgen. Und als er endlich versteht, dass das Kriegsgericht ihn zum Tode verurteilt, weil er dem Oberbefehlshaber nicht gehorcht hat, bettelt er bei der Kurfürstin um sein Leben.

Doch auch das Gesetz in Person des Kurfürsten nimmt die Regisseurin Jette Steckel ernst: Denn bei welchen Verbrechen enden wir, wenn ein Herrscher willkürlich das Urteil des Kriegsgerichts aushebelt? Axel Wandte gibt den Kurfürsten nicht unsympathisch, wenn er zu seiner Nichte Natalie sagt: „Dich aber frag ich selbst, darf ich den Spruch, den das Gericht gefällt, wohl unterdrücken? – Darf ich? Was würde wohl davon die Folge sein?“

Zitate aus Kleists Briefen

Jedes Wort an diesem Abend stammt von Kleist, doch nicht alles steht im „Prinz von Homburg“. Steckel streut viele Sätze aus Kleists Briefen ein und verzahnt dessen Biografie mit dem Schicksal Homburgs – schließlich hat der Dichter selbst sieben Jahre als Soldat gedient, bevor er seine Offizierskarriere aus moralischen Skrupeln an den Nagel hängte. Homburg spricht als Kleist, wenn er seine Begnadigung zuletzt nicht annehmen, nicht in die Schlacht zurückkehren will: „Ich wollte lieber zehn Mal den Tod erleiden als das noch einmal erleben. Mir ist der Soldatenstand so verhasst, dass es mir unmöglich ist, zu seinem Zwecke mitzuwirken. Die Offiziere halt ich für Exerziermeister, für Sklaven die Soldaten. Ich bin gezwungen, zu strafen, wo ich gern verziehe, oder verzeihe, wo ich strafen sollte. Von zwei durchaus entgegengesetzten Prinzipien unaufhörlich gemartert, immer zweifelhaft, ob ich als Mensch soll oder als Offizier; die Pflichten beider zu vereinen, halte ich für unmöglich.“

Und: „Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war.“ Auch dieser berühmte Abschiedssatz von Kleist fällt. Und dann, ganz wie der Dichter, erschießt sich der Prinz. Dieser Soldat mit den vor Angst weit aufgerissenen Augen findet keinen Ausweg aus dem Krieg.

Überwältigungstheater

Jette Steckel inszeniert also einen inhaltlich starken Antikriegsabend mit einem psychologisch nuanciert spielenden Ensemble. Die Mittel dagegen bleiben fraglich. Der Überwältigungsgestus, die ästhetische Perfektion, mit der die Soldaten im besten Scheinwerferlicht durch die Gegend geschleudert werden, mit der das Blut spritzt und die Bomben explodieren, wirkt seltsam glatt und abgeklärt. Zur besseren Konsumierbarkeit wird hier und da ein richtig guter Popsong eingespielt (von „The Doors“ bis David Bowie).

Weniger Blockbuster-Bombardement, mehr selbständiges Denken hätte der Abend dem Publikum schon zumuten dürfen. In Zeiten, in denen die Bilder des Grauens aus Israel und Gaza jede Vorstellungskraft übersteigen, wirkt das Kriegsspiel auf der Bühne – irgendwie schal. Doch das bleibt ein moralischer Einwand. Steckels Interpretation vom am Krieg zugrunde gehenden Menschen trifft durchaus einen Nerv.