Foto: Philippe Jaroussky (M.) in "Melancholie des Widerstands" © William Minke
Text:Matthias Nöther, am 1. Juli 2024
Die Oper „Melancholie des Widerstands“ ist eine subtile Apokalypse. Regisseur David Marton verzahnt Film und Oper mit Stars der Szene wie Philippe Jarrousky und Sandrine Piau. Die Musik selbst tritt dabei in den Hintergrund.
„Melancholie des Widerstands“ ist eine filmische Oper, sie entstand als radikale Kollaboration ohne fertige Partitur. Denn ohne eine solche reiste der französische Komponist Marc-André Dalbavie nach Berlin. Erst in der Probenarbeit mit dem filmerfahrenen ungarischen Regisseur David Marton und der Dirigentin Marie Jacquot schrieb Dalbavie die Noten final auf, die von der Staatskapelle aus dem Orchestergraben und den weltberühmten Gesangssolisten zu hören sind.
Es ist eine zeitgemäße, aber für die Staatsoper neuartige Arbeitsweise. Sie lenkt die stets zu Monumentalität neigende Gattung der Oper wieder mehr in Richtung eines fluiden Theater-Kollektivs, das stets auf Weiterentwicklung setzt.
Ein Film und ein Konzertflügel
Szenisch betritt das Team echtes Neuland – jenseits jener Video-Installationen, die man so oft auf Opernbühnen sieht, weil Regisseure dem Zauber von Gesang nichts mehr zutrauen. Hier ist es anders: Das Publikum sieht auf einer Leinwand einen durchgängigen Film – der hinter dieser Leinwand mit den Sängerinnen und Sängern des Abends live in einem Bühnenbild von Amber Vandenhoeck gedreht wird. Vor der Leinwand: die Staatskapelle im Orchestergraben sowie, auf der Bühne, ein Konzertflügel, der für die Dauer der Aufführung immer wieder von der Hauptperson des Stückes gestimmt wird.
Es ist der Tenor Matthias Klink in der Rolle des Georges Esther, eines frustrierten Ex-Musikschuldirektors. Dieser versucht, dem Flügel die moderne, temperierte Stimmung auszutreiben. Diese sei doch nur ein Versuch der Menschheit, die Welt auf menschliche Vernunft zu trimmen – eine Vernunft, die sie nun in die Apokalypse treibe. Erster Anhaltspunkt für den drohenden Untergang: dass mit dem überfüllten Bummelzug des filmischen Beginns unerklärliche Dinge passieren. Die Bahn und das Gefühl des Weltuntergangs: Man ahnt, weshalb Intendant Schulz den Roman des Ungarn László Krasznahorkai aus dem spätsozialistischen Jahr 1989 für die deutsche Hauptstadt der Gegenwart angemessen fand. Guillaume Métayer hat diesen Roman für die Opernbühne eingerichtet.
Apokalyptisches Szenario
Der Roman handelt von einer Kleinstadt, die allmählich von einem rätselhaften apokalyptischen Szenario überrollt wird. Im überfüllten Zugabteil schält sich die ängstliche Hausfrau Rosi Pflaum als eine der Hauptpersonen heraus. Es ist inspirierend, einer Star-Sopranistin wie Sandrine Piau in dieser Rolle dabei zuzusehen, wie sie sich in die Arbeit vor einer Live-Kamera einfindet. Schließlich kann diese Kamera, im Gegensatz zur Bühne, jede kleine Regung des Gesichts in Großaufnahme einfangen. Opernsänger als Filmfiguren: Als es an der Tür von Rosi Pflaums in kleinbürgerlicher Pedanterie vollgestellter Wohnung klingelt, ergibt sich einer der fruchtbaren, nie gesehenen Momente, die aus der Synergie von Opern und Film entstehen. Die Frau öffnet ihre Tür, und es springt Sopranistin Tanja Ariane Baumgartner ins Bild. Filmisch eine Standardsituation in jeder Fernsehserie, aber die quasi selbstverständliche Überlebensgröße der Opernsängerin hat noch kein Tatort-Ermittler auf den Bildschirm gebracht.
Entsprechend spielt Baumgartner eine majestätische Frau der Tat: Angèle Esther möchte in der endzeitlich vermüllten Kleinstadt die Aufräum-Aktion „Gekehrtes Heim, Ordnung muss sein“ initiieren. Die Menschen von dieser Hygiene-Bürgerwehr zu überzeugen – das kann ihrer Meinung nach nur ihr Ex-Mann Georges. Den Klavierstimmer dazu überreden wiederum soll der Postbote Valouchka – gesungen von dem weltberühmten Altus Philippe Jarrousky. In der Art des reinen Toren schwebt Jarrousky in der Folge träumerisch durchs Geschehen, bis er von einem faschistischen Stadt-Mob einkassiert wird.
Und die Musik?
Das saturierte musikalische Staatstheater, das sensibel die neuralgischen Kipppunkte unserer Gesellschaft zeigt: Tatsächlich hat Matthias Schulz zum Ende seiner Amtszeit ein Kamel durchs Nadelöhr getrieben – wenn auch das Kamel seine wasserspendenden Höcker dabei verliert: Die Musik von Marc-André Dalbavie hat einen einzigen charismatischen Moment in der Verhunzung der cis-Moll-Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier von Bach, der von der Staatskapelle meisterlich ausgekostet wird. Darüber hinaus bleibt sie blutleere Illustration des filmischen Geschehens, das seine leise Suggestivität eher dann gewinnt, wenn das Orchester schweigt. Konnte Musik in der Oper nicht schon mal mehr?