Foto: "Mode und Wirklichkeit" am Theater Paderborn © Christoph Meinschäfer
Text:Detlev Baur, am 4. November 2015
Das Theater Paderborn heißt inzwischen nur noch nach dem Bindestrich “Westfälische Kammerspiele“. Und tatsächlich wirkt der vier Jahre alte Neubau im Kern des Stadtzentrums wie ein ausgewachsenes Stadttheater. Seit dem Intendanzstart von Katharina Kreuzhage vor zwei Jahren hat das Theater beträchtlich an künstlerischem Profil gewonnen. Nun erfolgte dort sogar die Uraufführung von drei Monologen von Wolfram Lotz, Autor des vielleicht wichtigsten Stücks der letzten Spielzeit, „Die lächerliche Finsternis“.
Unter dem Titel „Mode und Wirklichkeit“ wurden die drei Texte von der Intendantin selbst in der Studiobühne inszeniert. Und selbst dieser Raum wurde noch reduziert (Bühne: Ariane Scherpf), da das Publikum auf die Studiospielfläche in ein Wohnzimmer geladen ist. Hier tritt ein junger Mann auf; die Stimme seiner Mutter erzählt vom „Wolfi“, dem Spätentwickler, der lange mit Playmobil-Figuren spielte, der stottert und dennoch nun im Theater auftreten darf, in einer Szene, die er selbst geschrieben habe. Lars Fabian mimt den unsicheren jungen Mann und ist verständlicherweise von der so liebevollen wie penetrant erzählenden Mutter vor den Wohnzimmerbesuchern unangenehm berührt. Regie und Darsteller folgen dem kurzen Text genau, wobei die Wirkung durch eine starke Ähnlichkeit zwischen dem Darsteller und dem echten Wolfram Lotz noch verstärkt wird.
Dieser wie die beiden folgenden Texte sind selbstreflexive, dabei ironische und zugleich sehr ernst gemeinte Gedankenschleifen über Theater, Tod und Missverständnisse zwischen Menschen und Kulturen. Nach Lotz tritt, teilweise beobachtet von Lotz, der verstorbene Rudolph Mooshammer auf (Max Rohland). Seine Ähnlichkeit zum realen Vorbild ist wiederum durch Maske und Kostüm künstlich hergestellt.
Den Abschluss des kurzen, aber komplexen kleinen Theaterabends stellt der Prolog des somalischen Piraten Ultimo Michael Pussi dar. Diese Klischees bedienende und sie zugleich brechende Verteidigungsrede vor einem deutschen Gericht bildet den Beginn des Stücks „Die lächerliche Finsternis“– und hat daher in der überragenden Darstellung von Stefanie Reinsperger am Wiener Burgtheater eine kaum erreichbare Vorlage aus der letzten Spielzeit. Anne Bontemps, auch also eine Frau in dieser Männerrolle, spricht den Bericht wesentlich ruhiger und erzielt dennoch eine beachtliche Wirkung. Während sie sich nach und nach ihrer (Mooshammer-ähnlich übertriebenen) Ausstaffierung mit schwarzer Perücke und Gürteln entledigt, wird zunehmend deutlich, wo das eigentliche Problem liegt: im ganz normalen mitteleuropäischen Menschen, der den somalischen Piraten ebenso wenig begreifen kann wie den Münchner Modeschöpfer oder den erfolgreichen, stotternden Dramatiker.
Der schaut sich das alles vom Rande aus an, verbeugt sich linkisch – und bleibt dabei immer stumm. So gewährt der Dichter in dieser schönen Inszenierung dem Paderborner Publikum weniger Einblicke in sein privates Zuhause im Schwarzwald, sondern vielmehr noch in des Publikums eigene Projektionen und Weltbilder. Ein wunderbares, verwirrendes Wohnzimmertheater also, noch kleiner als ein Kammerspiel, und doch größer als manch umfangreicher Theaterabend.