Foto: María Fernanda Castillo als scheintelefonierende La femme © Jochen Quast
Text:Christian Strehk, am 29. August 2020
„Man hat uns getrennt“, ist so ein Satz von Jean Cocteau: Der brennt geradezu im Libretto der Tragédie lyrique „La Voix humaine“. Da steckt mehr drin als ein verlorener Steckkontakt durch den Irrtum eines Fräuleins vom Amt. Lübecker Theaterbesucher verstehen im Corona-Jahr 2020 viel von Vereinzelung und Vereinsamung. Schließlich sind sie gerade – durch aufgestockte Einlassteams und freundlich bestimmte Anweisungen des neuen Theaterdirektors Caspar Sawade – maskiert zu ihren Sitzinseln auf Abstand geleitet worden, um einen zweiteiligen Kurzopern-Abend ohne Pause zu erleben.
Die 40-minütige Monooper von Francis Poulenc aus dem Jahr 1959 ist unter besonderen Vorzeichen als Teil Eins zurück am Ort ihrer deutschen und damals deutschsprachigen Erstaufführung von 1963… Die vielsagend ins Nichts lauschenden Generalpausen und traumhaft-traumatisch changierenden Klänge von Poulencs Pariser Musiktheater-Version werden von den Philharmonikern unter der Leitung von Generalmusikdirektor Stefan Vladar feinsinnlich ausgestellt. Dass sie dort, hinter Gaze schemenhaft auf der Bühne sichtbar, nicht so frei und obertonreich tönen können wie im Orchestergraben, ist den in Schleswig-Holstein besonders rigorosen Distanzvorgaben geschuldet.
Dafür konzentriert sich alles auf die in sich selbst gefangene junge Frau, die sich im Morgenmantel auf einer Art Präsentierteller im Vorbühnenlicht quält. Der Regisseur Bernd Reiner Krieger belässt sie im „Aufführungskonzept“ vom Kollegen Rainer Vierlinger und Ausstatterin Vibeke Andersen ganz im 1930er-Jahre-Schlafzimmer des Comédie-Française-Theaterstücks. Schnell wird klar, dass der Monolog der Verlassenen in die Sprechmuschel eines Telefons ins Leere geht, nur psychotisches Selbstgespräch ist. Der beschwörende Austausch mit dem verlorenen Geliebten ist hier Wahnvorstellung, die zwangsläufig in den Selbstmord mündet.
Grandios obsessiv steigert sich die mexikanische Sopranistin María Fernanda Castillo in das deklamierende Parlando hinein und weckt so sogar Assoziationen an Arnold Schönbergs an sich weit expressivere „Erwartung“. Flammende Schreie wechseln mit betörend reich rauchfarbenen Beschwichtigungen und Liebesschwüren; Wut und Verzweiflung sind mit Händen zu greifen. Dafür hagelt es im schütter besetzen Haus zu Recht Bravi.
Operndirektor Vladar, bekanntlich Pianist der Spitzenklasse, überbrückt die Umbaupause aus der Seitenloge heraus mit einer wunderbar versonnenen Eric-Satie-Meditation. Dann geht es zurück ans Pult – diesmal im Graben, da Gian Carlo Menottis Kammeroper-Orchesterpart eine kompaktere Besetzung zulässt. Die englischsprachige Lübecker Erstaufführung des buffonesken New Yorker Sketchs „Das Telefon“ wirkt mit seinen zwanzig Minuten arioser Konversation wie ein Dessert, zumal Vladar weniger die bissigen Schärfen als den süffigen Charme herausarbeitet.
Vergeblich versucht Ben (hübsch unbeholfen, dabei mit blühendem Bariton: Johan Hyunbong Choi) seiner Lucy (perfekte Plaudertasche: Andrea Stadel) einen Heiratsantrag zu machen, denn ständig ist sie durch mehr oder vor allem weniger wichtige Telefonate abgelenkt. Erst als er sie selber anruft, dringt er zu ihr durch… Rainer Vierlinger hat seine durchaus amüsante Boulevard-Inszenierung in der 70er-Jahre-Fellhocker-Ausstattung von Vibeke Andersen dadurch aufgepeppt, dass er Lucy als durchgeknallte Telefonapparat-Fetischistin zeichnet. Egal, welche Leitung Ben auch kappt – es findet sich stets ein anderer, noch funktionsfähiger Fernsprecher. Außerdem dräut mit dem Verlobungsgeschenk schon die Kommunikationsdroge der Zukunft: das iPhone. Zusätzlich führt ins Hier und Jetzt, dass unübersehbar auch noch die Corona-Abstandsregeln die Liebenden nicht zueinanderkommen lassen.