Foto: Einander begegnen im Treppenhaus: das "Medea"-Ensemble am Schauspiel Stuttgart © Thomas Aurin
Text:Manfred Jahnke, am 15. Dezember 2018
Franz Grillparzer nimmt der archaischen „Medea“ von Euripides viel von ihrer Wut. Er psychologisiert dessen Entwurf (obschon auch dieser den Stoff durchaus schon psychologisch organisiert) und bricht ihn auf das bürgerliche Familienmodell herab: ein Streit unter Eheleuten, die sich nicht mehr verstehen, mit tödlichem Ausgang für die zwei Söhne dieser griechisch-barbarisch gemischten Familie. Kein Mitleid mit der Medea aus Kolchis, die als Fremde fremd bleiben muss. In der Stuttgarter Inszenierung von Mateja Koležnik dominiert ein Treppenhaus (Bühne: Raimund Orfeo Voigt), das um eine Art Liftschacht mit lauter Drahtfenstern herumführt. Das schafft Assoziationen; wenn sich Menschen, zumeist die Kinder, in diesem Schacht bewegen, denkt man sofort an Bilder von Oskar Schlemmer, etwa die Bauhaustreppe von 1932. Und die Treppe selbst erinnert nicht nur an Schlemmer, sondern den Theaterhistoriker mehr noch an die expressionistischen Inszenierungen von Leopold Jessner.
Wenn allerdings bei Jessner die Treppe Ausdruck von emotionalen Bewegungen im Raum wurde, wird hier das Treppenhaus eher zum Ort flüchtiger Begegnungen. Mühsam müssen hier Kreon oder Jason die Treppen hochsteigen, sie haben daher keinen Hochstatus, den hat eindeutig Medea, die zumeist von oben herabsteigt, womit sie zumindest visuell von vornherein als Siegerin feststeht. Die Männer hier, auch, wenn sie bei Grillparzer nicht so komische Figuren wie bei Euripides sind, bleiben fast immer auf den unteren Stufen der Treppe. Nun nutzt Koležnik zwar die Metaphorik des Spielraums, aber sie entwickelt ihre Inszenierung allein über die Sprache. Abgesehen vom Auf- und Abstieg der Spieler auf den Treppen finden nur wenige szenische Aktionen statt. Da speit denn die Amme (Marietta Meguid) gelbe Flüssigkeit auf die Treppe, wenn sie vom Tod der Kinder erfährt.
Diese Reduktion auf Sprache macht diese Inszenierung zugleich spannend und ermüdend. Dem Publikum wird keine Pause gegönnt, es muss ständig das sprachliche Potential mitdenken und für sich in Bilder umsetzen. Zudem wird, um die Intimität zu unterstreichen, im Treppenhaus in einem eher unaufgeregten Ton gesprochen. Sylvana Krappatsch ist eine Medea, die staunend die Welt wahrnimmt, ohne sich in diese Männerwelt einzufügen. Benjamin Pauquet führt einen Jason vor, der einen klaren Plan verfolgt. Klaus Rodewald gibt seinem Kreon joviale Züge, während Katharina Hauter als Kreusa die naiven Facetten ihrer Rolle betont. In den Kostümen von Alan Hranitelj dominieren dunkle Farben. Nikolaj Efendi hat dazu eine Musik komponiert, die mit einzelnen Tönen arbeitet.
Diese Regiearbeit von Mateja Koležnik ist als Denkspiel konzipiert, bei dem die Emotionen eingedampft sind. Das gelingt mit diesem Ensemble.