Foto: "Der Fiskus", hier mit Larissa Semke, Naima Laube, Gertrud Kohl und Saskia Petzold © Joseph Ruben
Text:Jens Fischer, am 24. Mai 2020
Ein Stück, das so witzig wie klug eine niedrigschwellige Auseinandersetzung über Sinn, Unsinn und Realität der angewandten Steuerpflicht ermöglicht. Eine Inszenierung, die leere Blicke, schlaffe Körper, müde genervten Gesichtsausdruck von Steuerbeamten in einen entspannten Aufführungstonus übersetzt, dabei schön die Balance zwischen karikierender Zuspitzung, humorvoller Selbstreflexion und pointierter Dokumentation des Beamten-Wehleides hält, dem Hadern mit sich selbst, den Kollegen und uns, ihren unwilligen Kunden. Künstlerisch war die Uraufführung von Felicia Zellers „Der Fiskus“ ein Höhepunkt des recht mutlosen Schauspielspielplans 2019/20 am Staatstheater Brauschweig. Auch das Publikum strömte und goutierte. Folgerichtig wurde „Der Fiskus“ zu den 45. Mülheimer Theatertagen „Stücke 2020“ und zu den Autorentheatertagen des Deutschen Theaters nach Berlin eingeladen. Dann kam Corona. Verbot der Gastspiele bei den Festivals, Verbot der weiteren Repertoirevorstellungen. Der auch überregionale Erfolg konnte nicht genossen werden.
Also lud Regisseur Christoph Diem das „Fiskus“-Team zur Verewigung der Aufführung ein. Stolz heißt es in einer Pressemitteilung, „mit vier Kameras, in HD, mit professionellem Ton und natürlich mit dem nötigen Abstand aller Akteure“ sei eine Filmversion an vier Drehtagen realisiert worden – in der Originalkulisse der Raumbühne „Aquarium“, einer mit Kunstrasen ausgeschlagenen, per Lichterkette geschmückten Kleingarteninstallation. Die gesamte Saison über wurde sie als Ort des Nachdenkens und des Aufbrechens in Utopien genutzt. Drückt sich im Urban Gardening und Einnisten auf Parzellen doch der Wunsch nach der Symbiose von Natur und Ordnung aus, wobei auch die Grenzen von Öffentlich und Privat verschwimmen sollen. Was prima passt, geht es beim Fiskus doch vor allem darum, strafend Ordnung in die wuchernde Natur der Steuerbetrügerei zu bringen. Zur Imageverbesserung und Einnahmesteigerung der Finanzbehörde schlägt Zeller zudem vor, die Steuereintreiber könnten sich zusätzlich als Börsenmakler der Herzen betätigen, ihr Amt auch als Partnervermittlungsagentur nutzen: „Wir bieten ein diskretes Matching anhand der vorliegenden / Kapitalertragssteueranträge“.
Live saß ein famoses Darstellerquartett auf Drehstühlen um einen Berg Akten, während Betriebsprüferin Fatma Tabak (Naima Laube) durch den Raum irrlichterte. Jetzt wird sie in Standbilder gezwängt und wirkt durch brachiales Anstrahlen mit blauem Licht wie ein Zombie. Die Akten der Bühnenmitte fehlen im Video, dafür tragen fast alle Mitwirkenden mal eine virenfängerische Mund-und-Nasen-Maske. Die intime Spielsituation ist entsprechend aufgelöst. Wie aufeinander reagiert, miteinander agiert wird, die gesamte Gruppenpsychologie vermittelt sich kaum noch, da vor allem auf eine Aneinanderreihung von Nahaufnahmen direkt in die Kamera sprechender Figuren gesetzt und ihnen so der Körper genommen wird. Zudem ist meist auch noch jedweder mimische Ausdruck weggeleuchtet. Warum viele Aufnahmen derart grell überbelichtet sind, vermittelt sich genauso wenig wie der Sinn der Unschärfe vieler Bilder und all der Spiegelungen in den Brillengläsern. Sollten Kameraführung und Lichtsetzung bewusst unprofessionell wirken, ist das vollends gelungen. Nur selten gibt es mit den Figuren im Raum arbeitende Einstellungen. Dafür alberne Gags wie das Kippen der Bildachse um 90 Grad. Ebenso wahllos der Einsatz von Aufnahmen aus der Vogelperspektive. Expressionistisch funktioniert immerhin eine weitwinkelig verzerrte Nahaufnahme während der Panikattacke von Reiner Lös (Tobias Beyer). Obwohl per Mikroport aufgenommen, ist die Tonspur betont amateurhaft gemixt. Mal kommt eine Stimme zu laut, mal zu leise daher, mal schwankt sie während eines Monologs.
Gelungen immerhin die Zwischenschnitte mit Abteilungsleiterin Nele Neuer (Gertrud Kohl), die in einem Nebenraum in sich zusammensinkt oder mit Musik auf den Ohren abreagiert. Herausragend erneut Saskia Petzolds Darstellung der Bea, kühn trotzig, traurig bockig, aufdringlich besserwisserisch, herrlich resolut, schmerzhaft verbiestert und schwarzhumorig. Hinreißend als früh vergreistes Nesthäkchen ist auch im Video Elfi Nanzen (Larissa Semke) zu erleben, Heldin des „qualifizierten Durchwinkens“ von Steuererklärungen.
Insgesamt überzeugen nur Zellers Text und die Schauspieler. Besser als ein statischer Generalprobenmitschnitt ist das schon, aber eben leider keine filmisch schlüssige, handwerklich saubere Produktion.