Die zwei von der Wartestelle

Samuel Beckett: Warten auf Godot

Theater:Berliner Ensemble, Premiere:11.04.2025Regie:Luk Perceval

Luk Perceval setzt den Reigen der „Godot“-Premieren fort. Bei allen Stärken der Inszenierung am Berliner Ensemble, bleibt der Klassiker ein Stück aus einem vergangenen Jahrhundert.

Rund 20 teils abgestürzte, teils herabhängende Scheinwerfer prägen die Bühne (Katrin Brack) hinter dem auffälligen Bühnenportal des Berliner Ensembles. Hier sitzen und wandeln, liegen und tänzeln der überdrehte Wladimir (Paul Herwig) und der altersdepressive Estragon (Matthias Brandt). Die unveränderten, wenn auch gekürzten Dialoge aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts fließen organisch aus dieser undeutlichen, aber unbedingt unerfreulichen Grundsituation.

Zwei Typen und eine Stimme von außen

Paul Herwig spielt den jüngeren, noch hoffnungsvolleren, in seiner nervösen Aufgeregtheit aber keineswegs glücklicheren Wartenden als echte Type. Mit schlabbrigem braunen Wollpulver hat er fast durchgehend Probleme mit Blase und Hose, die rutscht, getrocknet wird und als Kopfbedeckung dient (Kostüme: Ilse Vandenbusche). Bei Matthias Brandts Wladimir zwicken dagegen eher die Stöckelschuhe. Mit Netzstrumpfhose und gelb getönter Brille ist er mental und körperlich weit weniger beweglich als sein Compagnon, erinnert an einen altersdementen Mann, der sich hin und wieder – besonders beim ersten Auftritt des maskulinen Pozzo (Oliver Kraushaar) – tuntenhaft gibt.

Estragons Probleme mit dem Schuhwerk wird von einer Frauenstimme (via Regieanweisung) genauer beschrieben. Souffleuse Antonia Schirmer spricht immer wieder von der Seite mit Mikrofon die detaillierten Regieanweisungen Samuel Becketts ein. Damit – und andeutungsweise mit Estragons femininer Seite – schmuggelt Luk Perceval vom Autor untersagte weibliche Bühnenpräsenz in das Männerstück voll rigider Vorgaben.

Subtil ist auch die musikalische Untermalung durch Philipp Haagen, der (meist) vom Foyer aus mit einem Konzertflügel, häufiger mit einem präparierten Flügel oder mit einer Tuba, in die er auch seine eigene Stimme hineinsingt, das Spiel untermalt. Schön ist auch die Besetzung des Godot-Botenjungen durch den älteren Darsteller Roderich Gramse.

Der erste Auftritt des kraftstrotzenden, geschwätzigen Pozzo und des von ihm Unterdrückten Lucky (Jannik Mühlenweg) bringt tatsächlich die erhoffte Abwechslung ins Warten und lange Verweilen der beiden Hauptfiguren. Lucky entkommt bei der sklavischen Denkvorführung lautstark über das Parkett in den 1. und 2. Rang. Beim zweiten Auftritt nach der Pause haben sich die Verhältnisse umgedreht, nun trägt der Diener den hellbblauen Anzug, Pozzo ist erblindet. Diese zweite Herr-Knecht-Besuchsnummer entwickelt allerdings samt Wladimirs Misshandlung der beiden eine überzogen wirkende Dynamik.

Klassiker von gestern

„Warten auf Godot“ leidet, wie sich jüngst am Münchner Residenztheater zeigte, als Stückvorlage unter den peniblen Spielvorgaben des Autors. Dieser Klassiker des 20. Jahrhunderts ist für die Bühne vielleicht Opfer seines eigenen, ikonografischen Erfolgs geworden. Und er beschreibt nach den Katastrophen des 2. Weltkriegs und des Holocaust eine metaphysische Unbehaustheit, die für uns längst gemütlicher Alltag geworden war. Ob es das rechte Stück vor einer absehbaren, aber im Detail noch unklaren neuen Katastrophe der Menschheit ist, erscheint zweifelhaft.

Regisseur (und Yoga-Lehrer) Luk Perceval hat sich in den letzten Jahren im deutschsprachigen Theater eher rar gemacht. In Köln hat er in der Corona-Zeit die Welt-Verweigerung Oblomows auf die Spitze getrieben, indem die Hauptdarstellerin digital einen Ausstieg aus der Theaterproduktion darstellte. „Warten auf Godot“ nutzen Perceval und sein Ensemble nun zu einem klugen und ironischen Theaterspaß, der menschliche Arche-Typen etabliert und mit Spiel- und Wortwitz umgibt.

Die Scheinwerferlandschaft gerät nach und nach ein wenig in Bewegung, immer mehr erhellen sie auch ihr eigenes Universum der Ungewissheiten. So gut der unfreiwillig komische Small Talk der beiden Warter gelingt; so stark Herwig den überdrehten, sich selbst betrügenden Dauerhoffenden darstellt und Brandt den gedächtnislosen, Altersdepressiven mimt, der am Ende seinem Tode entgegendämmert. Die Stärken der Inszenierung liegen im perlenden Dialog, nicht in der dramatischen Zuspitzung. Die große Bespiegelung unserer Gegenwart durch das Warten auf Godot gelingt auch am BE allenfalls streckenweise.