Kein Liebestrank
Glaubt man – wie Thorleifur Örn Arnarsson und sein Dramaturg Andri Hardmeier – nicht an die Wirkung dieses Minnetrankes, der in Gottfried von Straßburgs „Tristan“-Vorlage noch ganz zentral, bei Wagner dann keineswegs mehr notwendig ist, weil beide schon verliebt sind, braucht es eine andere Setzung. Und die sucht der Isländer in seiner Neuinszenierung bei den Bayreuther Festspielen in der traumatischen Vorgeschichte von Tristan und Isolde.
Einen Liebestrank wollen die beiden gar nicht, quälen sich lieber durch die Erinnerung an das Nichtwiederbringliche – an jenen Moment in Irland, als Isolde im verwundeten Tantris den Mörder ihres Verlobten erkennt, sich dennoch in ihn verliebt, ehe sie ihn ziehen lässt. Schön war’s, vorbei leider, und das wissen beide. Was bleibt, ist ein großes Konglomerat aus Sehnsucht und Rachegelüsten, das in dieser Produktion weniger szenisch denn musikalisch umhaut. Tötet quasi. Denn Camilla Nylund als stolze Isolde und Andreas Schager als zutiefst an sich selbst leidender Tristan versetzen das Publikum spätestens ab dem Zweiten Aufzug in Ekstase.
Vergangen ist vergangen
Zunächst aber beginnt das alles furchtbar nebeldüster und statisch. Kurwenal (ausdrucksstark und deutlich: Olafur Sigurdarson), der junge Seemann (glockenhell: Matthew Newlin) und teils auch die Brangäne der famosen, süßlich-dunkel timbrierenden Christa Mayer sind kaum mehr als Schachfiguren, bewegt für einen kurzen Zug nur und sonst im Hintergrund postiert zwischen herabhängenden Segel-Tauen. Es geht ja ums Innen, nicht ums Außen, auch wenn man sich gelegentlich einen Lichtschalter wünscht, um Details überhaupt zu erkennen.
Optisch durchzieht das Stochern im Dunkel der Vergangenheit alle drei Aufzüge (Bühne: Vytautas Narbutas, Kostüme: Sibylle Wallum). Während Isolde anfangs noch ihren meterweit ausladenden Brautkleidschleier tagebuchartig mit Wortfetzen vollschreibt, nachliest, sich erinnert, führt der Zweite Aufzug ins Innere eines riesigen, löchrigen Schiffsbauches, vollgestopft mit halbkaputten Relikten: alte Statuen und schiefhängende Bilder, Papierstapel und kaputte Fischernetze. Vergangenes, nutzlos geworden, da hilft alles Wühlen und Suchen nichts.
In diesem Chaos kniet Tristan mit ausgestreckten Armen vor Isolde, fleht um den tötenden Schwertstoß, den sie ihm verwehrt. Zum größten Liebeduett aller Zeiten knien dann beide voreinander, den bis dato gewahrten Abstand nur langsam in eine Umarmung auflösend. Bis König Marke hereinplatzt, den Günther Groissböck mit großer Wut gibt (auch wenn er hier noch ungewohnt dumpf klingt, sich erst im Finale deutlich freisingt). Zu Boden stößt er Tristan, nichts ist geblieben vom väterlichen Freund. So suizidiert sich Tristan mit einem schnellen Schluck Todestrank und lässt Melot (Birger Radde) nur zusehen, statt sich von ihm abstechen zu lassen.
Musikalische Exstase
Dieser Abend ist vor allem ein musikalischer Schmerzgenuss. Durch das akzentuierte Dirigat Semyon Bychkovs, der quälend langsam beginnt, die Partitur in filigrane Fäden zu spinnen weiß und pianissimi setzt, die nur in diesem Festspielhaus so schweben können – wenn das furchtbar undisziplinierte Publikum endlich ruhig ist. Durch die Sängerdarstellung der in allen Registern frei klingenden Camilla Nylund. Und durch einen Tristan-Darsteller, der auf seinen physischen Grenzen tanzt, ohne je die Kontrolle zu verlieren – mit metallischem Glanz und schier endloser Power für diese Partie, bis ins wohldosiert Rauchige im finalen Sterben. Bravi und ein lautstark tobendes Publikum für die Soli, verhaltene Buhs für das Regie-Team.