Foto: Szene mit Rebecca Raffell (Cleone) und Lawrence Zazzo (Alessandro). © Markus Kaesler
Text:Joachim Lange, am 21. Februar 2012
Mittlerweile ist es schon eine Leistung, mit einer so gut wie unbekannten Händel-Oper aufzuwarten. Dem Badischen Staatstheater Karlsruhe ist das jetzt gelungen. Mit dem 1726 im Londoner Kings Theater uraufgeführten „Alessandro“ steht eine So-gut-wie-Ausgrabung im Mittelpunkt der 35. Händelfestspiele. Händel hat seine Version einer Episode aus dem Eroberer-Leben des Mazedoniers den Superstars seiner Zeit in die koloraturgeübten Gurgeln geschrieben. Kastraten-Legende Senesino und die beiden Primadonnen Faustina Bordoni und Francesca Cuzzoni standen bei ihm gemeinsam auf der Bühne. Und es geht auch dort vor allem um eine Menage a trois, bei der die beiden konkurrierende Frauen Rossane und Lisaura den Eroberer der damaligen Welt als Mann genauso erobern wollten wie die beiden Sopranistinnen die Herzen des Publikums. Dass Alexander sich nicht entscheiden kann, lieferte dem Sängerinnen-Zoff das Arienfutter. Zwei Dutzend davon kann man jetzt in Karlsruhe hören. Sie liefern die vokalen Schmuckstücke der auf fast viereinhalb Stunden verteilten 73 Nummern.
Für die barockübliche Haupt- und Staatsaktion steht der gerade besiegte König von Indien Tassile (Counter Martin Oro). Und die drei Heerführer Alexander Clito (Andrew Finden), Leonato (Sebastian Kohlhepp) und Cleone (urkomisch: Rebecca Rafell) raffen die sich sogar zu einem Putschversuch gegen Alexander auf, als der sich im Rausch seiner Erfolge selbst zum Sohn des Gottes Jupiter erklärt. Diese drei kommen zwar wie eine Parodie der drei Musketiere daher; ansonsten aber fällt Jung-Regisseur Alexander Fahima eher mit sensibler Zurückhaltung auf. Die Bühne von Ausstatterin Claudia Doderer beschränkt sich auf locker gehängte Wände, eine Spielfläche über einem gefluteten Geröllfeld und barock historisierenden Kostüm-Chic. Und was die Protagonisten in diesem Ambiente abliefern, ist von einem wohlfeilen Händel-Comic samt Flucht vor der Da-capo-Arie in den Klamauk ebenso weit entfernt wie von einem zum Musikdrama aufgemotzten Politthriller. Modern, aber nicht modernistisch liefert das Regieteam ein zartes Aquarell, das die grellen Farben meidet und sich erstaunlich rückhaltlos dem großen Melodienerfinder Händel anvertraut. Trotz Video-Einspielungen und hinzugefügten Schatten-Alter-Egos bleibt alles unaufgeregt, sehr ästhetisch und ist mit einem sanften szenischen Crescendo (samt Attentatsfeuerwerk und drei vorübergehend bis zum Lieto fine mal kurz toten Putschisten) pure, melodiensatte Händel-Wellness.
Als vokale Herausforderung und mit seiner Wagnerüberlänge ist „Alessandro“ wohl nicht repertoiretauglich. Aber festspielkompatibel ist er schon, auch wenn er bislang weder in Halle noch in Göttingen szenisch zu erleben war. Zumal Karlsruhe auch diesmal wieder musikalisch glänzt. Angefangen bei Michael Form und den exzellenten Deutschen Händel-Solisten, die sinnlich federnd, mit zwei Continuo-Gruppen und vielen Gelegenheiten für Soli–Begleitungen der Sänger aufwarten. Und dass der US-amerikanische Counterstar Lawrence Zazzo als Alessandro sich nicht so recht zwischen der Rossane von Yetzabel Arias Fernandez und der Lisaura von Raffaella Milanesis entscheiden konnte, war für die dankbar applaudierenden Zuschauer nur zu gut nachvollziehbar. Damit hat das kleinste und jüngste der deutschen Händelfestspiele die Latte für die beiden älteren, routinierteren Schwesterunternehmen ziemlich hoch gelegt. Gut für Karlsruhe. Und hoffentlich ein Ansporn für Göttingen und Halle.