Foto: Svetlana Ignatovich in Jette Steckels "Tosca"-Inszenierung am Theater Basel © Hans Jörg Michel
Text:Tobias Gerosa, am 12. September 2013
Eben ist der geflohene Gefangene in der Kirche versteckt, da kommt – nein, nicht der Messner, sondern Tosca selber. Eben stand sie noch als Madonna auf der sonst leeren Bühne, jetzt schreitet sie in leuchtendem Rot zur Rampe und haucht mehr ins dort aufgebaute Mikrofon, als dass sie singt: „Bang bang“, den Song von Sonny Bono aus dem Jahr 1975. Er wird am Anfang des zweiten Aktes nochmals zitiert. Und so passend er textlich sein mag: Er stört die perfekte Suspense-Dramaturgie von Puccinis Tosca empfindlich. Doch darum geht es Jette Steckel, der so erfolgreichen Schauspielregisseurin, offenbar nicht. Sie lotst ihre Protagonisten immer wieder an dieses ominöse Mikrofon, unterbricht sie die Musik durch Gänge. Und längst nicht immer wird auch nur klar warum, ja einiges wirkt gar unfreiwillig komisch, gegen die Musik inszeniert (ohne damit einen produktiven Widerpart zu schaffen) oder schlicht ungelenk wie fast die ganze Personenführung. Zusammen mit der zu grossen Ambition, das Stück anders zeigen zu müssen, eine ungute Mischung.
So hat Tosca zwischen dem Mord und ihrem Auftauchen auf der Engelsburg, wo sie ihren Geliebten vor der Erschiessung retten will, offenbar Zeit, sich zweimal umzuziehen und zu Hause einen Koffer zu packen, den ihr Scarpias Folterknecht noch nachträgt. Ihre grosse Arie „Vissi d’arte“ singt sie auf einem Steg vor dem Orchester – als wäre diese Introspektion nicht die prädestinierte Stelle, um die Regieidee der Aufführung als Konzert Toscas, die darin ihre eigene Geschichte erzählt,kenntlich zu machen. So beschreibt das Programmheft das Konzept.
Bemüht und zäh wirkt das szenisch. Und die musikalische Seite kann das nicht korrigieren. Enrico Delamboye hält die Stricke brav in der Hand, wagt aber weder die Kraft noch den Sog der Partitur auszuspielen. Dem Basler Erfolgspaar in den Hauptrollen kommt er dafür weit entgegen: Maksim Aksenov bekommt viel Raum für laute (und schöne!) Töne. Für Svetlana Ignatovich, für die diese Rolle hörbar noch an einzelnen Stellen über die stimmlichen Möglichkeiten geht, nimmt er das Orchester zurück. Diese Sängerfreundlichkeit führt bei Scarpia zu grundsätzlichen Problemen: Nimmt der Dirigent den Apparat zurück, wirkt die Stelle nicht (wie im Te Deum), lässt er ausspielen, geht Scarpia unter (wie im zweiten Akt). Davide Damiani hat’s nicht leicht.
Die tetrisartige bewegliche Wand, die Florian Lösche auf die sonst leere Bühne gestellt hat, gibt Tosca (bzw. ihrem Double) eine eindrückliche Plattform für den finalen Sturz; die Wand dreht und neben der zerschmetterten Tosca steht Tosca, die „Bang bang“-Sängerin im roten Konzertkleid am Mikrofon. Tosca als Figur ist unsterblich, nun gut. Mehr als das demonstriert diese Produktion aber, wie eine Kopfgeburt Theatralität weitgehend verdrängen kann. Die Oper Basel erreicht das Niveau, das sie in den ersten Jahren von Intendant Georges Delnon und noch unter Operndirektor Dietmar Schwarz hatte, auch mit den damaligen Rezepten zur Zeit leider nicht mehr.