Foto: Ute Baggeröhr, Claudia Hübschmann, im Video: Jannek Petri © Thorsten Wulff
Text:Manfred Jahnke, am 29. September 2024
Die Uraufführung von Nis-Momme Stockmanns „Die rote Mühle“ steht zwischen Kapitalismuskritik und der Frage nach dem guten Leben. Am Badischen Staatstheater Karlsruhe inszeniert Tom Kühnel die Geschichte von Gefallenen und aufsteigenden Kapitalisten.
„Liliom“ von Ferenc Molnár gehört zum Repertoire der deutschen Theater. Sein Stück „Die rote Mühle“ hingegen ist weitgehend unbekannt. Nach der Uraufführung am Burgtheater Wien 1924, die ein Flop war, verschwand das Stück von der Bühne. Molnár erzählt eine Geschichte, die in der Hölle beginnt: Der Magister des Teufels hat eine Menschenverderbmaschine erfunden, deren Wirkung an einem guten Menschen erprobt wird, der sich zu einem „bösen“ Kapitalisten und Politiker entwickelt.
Hundert Jahre später hat Nis-Momme Stockmann zum Beginn der neuen Intendanz von Christian Firmbach am Badischen Staatstheater Karlsruhe eine Überschreibung des Stücks entwickelt. Er übernimmt die Grundstruktur eines großen sozialen Experiments: Was braucht der Mensch, um glücklich zu sein? Ein ehemaliger Mineralölkonzern ist per Greenwashing groß im Geschäft und entfaltet alle seine Gewalt darin, in der kleinen Gemeinde, in der Mori lebt, ein neues Zentrum mit Birkenwäldchen aufzubauen und deren Einwohner an sich zu binden. Nur der Hascher und Biertrinker Mori, der seit Jahren an einen Film über seine Haselmänner bastelt, entzieht sich allen Bemühungen.
Doch dann lässt er sich auf einen „Probetag“ ein, steigt als kreativer Kopf zum Abteilungsleiter auf mit Vorschlägen wie statt elektrische Schuhanziehhelfer solche aus Holz zu entwickeln. Seine Sozialkontakte zur Schwester oder zu seinem Freund Bismarck entschwinden, die mit dem Erfolg einhergehende kapitalistische Gier macht ihn einsam, wenn dann am Ende einer Wutrede nicht doch die Einsicht dämmerte, wie einfach man sein Glück finden kann.
Kubus und Rüschen
Wenn der Zuschauer auf Umwegen (Vorsicht: Baustelle) den Zuschauerraum betritt, schaut er auf einen in einem roten Rüschenvorhang verhüllten Kubus, der mit Beginn der Vorstellung hochgezogen wird (Bühnenbild: Valentin Köhler). Der Regisseur Tom Kühnel erzählt die Szenen zwischen Mori und Bismarck oder zwischen Mori und Schwester per Livevideo aus dem Inneren des Kubus, bis dann die Vertreter der „ForNa.Tech“ auftreten und auch die Wände in die Höhe gehoben werden. Jannek Petri spielt den Mori als sympathischen Biersäufer, einer, der „von Natur aus“ langsam ist, ein Bastler, der von der Welt in Ruhe gelassen werden möchte. Ganz anders ist sein Freund Bismarck gestrickt, Busfahrer in der Firma seines Vaters, der vom Ehrgeiz getrieben, von einem anderen Leben träumt. André Wagner führt diese Sehnsucht anrührend vor. Die Schwester wiederum, die von Claudia Hübschmann als verhuschtes Mauerblümchen daherkommt, scheint mit ihrer Geduld am Ende, während die Bürgermeisterin der Ute Baggeröhr populistisch agiert.
André Wagner, Swana Rode. Foto: Thorsten Wulff
Während bei den Einwohnern des Ortes eher Alltagskostüme, von Ulrike Gutbrod entworfen, dominieren, fällt das Outfit der Konzernleute auf: Nicht nur, dass sie rote Teufelshörner tragen, die auch allen Mitmachenden wachsen, sondern auch deren Kleidung ragt im Zuschnitt und der Farbigkeit heraus. Sie sind es, die die Spielregeln setzen und überwachen. Die Yella der Swana Rode – als Choreografin auch mit Elevinnen der Ballettschule Corpus auftretend – setzt ihre Überzeugungskraft körperlich ein – eine Verführerin, wie die Schlange in der Genesis. Janik Süselbeck ist X, Member of the Board, zielstrebig, ein Wächter über die Prozesse des Greenwashing und Protokollant vor Ort. Nico Herzig schließlich tritt als GEO mit Maske und Zottelfell monsterhaft auf: Wenn das die Charaktermaske des Kapitalismus sein soll, da wirkt denn doch die Ironie, mit der Tom Kühnel dem Kapitalismus zu Leibe rücken möchte, ein wenig fade.
Private und öffentliche Einblicke
Was eindrücklich gelingt, ist der Wechsel von einem aus der Gesellschaft Gefallenen hin zum aktiven Mitarbeiter der Kapitalisten, der die Manipulationen seiner Gegenspieler gar nicht mehr spürt. Jannek Petri spielt das groß aus. Ebenso gelingen die Wechsel zwischen den „privaten“ Szenen, die per Livevideo übertragen werden, und den „öffentlichen“, die das Agieren der „ForNa.Tech“-Leute vorführen. Ein Deutsch-ukrainischer Chor begleitet – meist sichtbar hinter dem Kubus – die Szenen mit einem eigens komponierten Sound von PC Nackt. Entstanden ist eine dichte Inszenierung, die das Material von Stockmann reduzieren musste. Was der Autor vorlegt, ist vielfältig, denn auf seine Ausgangsfrage gibt es viele Möglichkeiten einer Antwort: „Wie lässt sich unser Wunsch nach Freiheit, Geborgenheit und Wohlstand zusammenführen mit einem verantwortungsvollen Umgang mit der Welt?“