Foto: "Baal" am Staatstheater Augsburg © Jan-Pieter Fuhr
Text:Manfred Jahnke, am 24. Februar 2019
Baal, der geniale Verseschmieder, lässt sich nicht vermarkten. Er säuft und hurt lieber, ein Urviech eben. Was kann er denn dafür, dass ihm die Frauen verfallen? Brecht hat in seinem frühen Stück ein Frauenbild vorgeführt, dass ihn heute durchaus in ein falsches Licht rücken kann. Hat nicht schon ein gewisser Fuegi vor Jahren nachweisen wollen, dass nicht Brecht, sondern seine Frauen seine Stücke geschrieben haben? Mareike Mikat macht das in ihrer Inszenierung am Staatstheater Augsburg zum diesjährigen Brechtfestival geschickter. Weil ihr die Frauenrollen im „Baal“ suspekt sind, besetzt sie die Figur mit Natalie Hünig und die fünf Männer des Ensembles spielen neben den Männern auch die Frauen. Mit der alten theaterpädagogischen Erfahrung, Frauen spielen die besseren Männer wie umgekehrt auch, räumt sie dabei auf. Hünig spielt in glitzernden Topps und knappen Jeans einen Mann, der laut und aggressiv sein kann, der die Zunge lasziv rollen lässt und mit großen Posen arbeitet. Dabei aber bleibt sie stets im Gestus des Zitierens oder sie unterläuft ihr Spiel ironisch. Aber sie ist noch mehr, die hochgerissenen Armen mit weit ausholendem Zeigefinger verweisen auf das Showgeschäft: Sie ist das Star in einer Band, die von Ton, Steine, Scherben bis Beyoncé alles spielt und singt.
Natürlich nicht allein. Das ganze Ensemble ist eine Band. Und was für eine. Enik, der auch für „Die Fantastischen Vier“ komponiert und eigene Alben produziert, verwendet Songs von Nick Cave, Pisse, Ton, Steine Scherben und Beyoncé, hat aber auch eigene für diese Aufführung komponiert. Das klingt punkig, manchmal auch funky. Aber selbst wenn „If I were a boy“ von Beyoncé szenisch als Kommentar eingebunden werden kann, fehlen doch die wunderbaren Verse von Brecht. Sie sind durch diese Songs ersetzt. Das ist ein herber Verlust. Wenn die Konzeption von Mikat durchaus schlüssig erscheint, die Geschichte von Baal als die einer Punkband zu erzählen, die mehr oder weniger erfolglos durch die Provinz tingelt, so wäre es einen Versuch wert gewesen, die starke Lyrik von Brecht entsprechend zu vertonen.
Aber in ihrer Bearbeitung, die die erste Fassung von 1918 zur Grundlage hat, stehen weniger die Vermarktungsstrategien, gegen die Künstler sich wehren müssen, um starkes Individuum sein zu können, im Zentrum, sondern neben Gender eher die Frage nach Arbeit. Und da sich Baal nicht in die Wälder flüchten muss, wie in der letzten Fassung von 1955, bleibt alles in der Stadt, passend zum Motto des diesjährigen Brechtfestivals „Für Städtebewohner*innen“ und dem Untertitel „Moral to go“. Baal schlägt sich durch das Dickicht der Städte, hinterlässt – moralisch unkorrekt – Wasserleichen und bringt schließlich seinen Freund wegen einer Frau um – und bricht nun doch in die Wälder auf. Hier aber klettert er auf das Gerüst, ein Ballon, ein Globus, wird herabgelassen und Baal lässt ihn zerplatzen, Silberstaub verstreuend. Black.
Die Bühne von Bernd Schneider arbeitet mit verschiedenen Podesten und Orten für die Musikinstrumente, wobei das Schlagzeug im Zentrum steht. Ein paar Stühle und im Hintergrund ein Tisch genügen als Mobiliar. Nach hinten wird die Bühne durch ein Gerüst abgeschlossen, das auf drei Ebenen bespielbar ist. Hinter einer Plastikfolie sind rechts zwei Matratzen sichtbar, die Höhlen von Baal. Auf der dritten Ebene agiert nur Hünig, die von oben ihre Überlegenheit demonstriert. Zu Beginn ist als Zitat eine Brechtgardine zugezogen, die aber im weiteren Spiel nur wenig eingesetzt wird. Die Bühne wird dabei dominiert von den aus Neonröhren gebauten Buchstaben B A A, die meist blaufarbig erscheinen, manchmal auch in Rot. Das Ambiente erinnert wie die Kostüme, die ebenfalls Bernd Schneider kreiert hat, an eine bohemienhafte, verarmte Welt, so funktionabel wie schäbig, dass nicht einmal Platz für das L bleibt.
Das Ensemble wird von Mikat gefordert. Nicht nur, dass Gerald Fiedler, Andrej Kaminsky, Roman Perti, Patrick Rupar, Daniel Schmidt und natürlich auch Natalie Hünig ständig zwischen Musik und Spiel hin und her switchen, sie müssen sich auch ständig umziehen. Bis auf Hünig spielen alle anderen Darsteller mehrere Rollen. Und da alle ständig auf der Bühne sind, mal im Gerüst liegen, mal im Hintergrund verschwinden (aber immer sichtbar), ist es manchmal schwer, sich auf die eigentlichen Handlung zu fokussieren. Am Anfang und gegen Ende steht die Szene mit den Landjägern, die die Frage nach der Identität von Baal stellen: „Vor allem: Mörder. Zuvor Varietéschauspieler und Dichter…“ Aber Hünig zeigt weniger diese Identitätssuche, als die ironisch gebrochene Darstellung von männlichen Posen. „Moral to go?“ Nein, trotz aller Unterhaltung, trotz des tollen Einsatzes des Ensembles, ist hier doch eher „Moral to come“ das Motto.