Safira Robens (Natasha Brathwaite, Reporterin der "New York Times") sitzt Joachim Meyerhoff (McNeal) gegenüber und führt ein Interview.

Porträt eines Narzissten

Ayad Akhtar: Der Fall McNeal

Theater:Burgtheater Wien, Premiere:01.03.2025 (DSE)Regie:Jan Bosse

Jan Bosses Inszenierung von Ayad Akhtars „Der Fall McNeal“ am Burgtheater Wien dreht sich um einen narzisstischen Star-Autor und den Einsatz Künstlicher Intelligenz im Literaturbetrieb. Von opulenter Videotechnik überblendet, bleibt das Theater dabei jedoch unterbelichtet.

„Du lügst immer, du kannst gar nicht anders“ – gefasst spricht die dunkelhaarige Frau direkt in die Kamera. In Großaufnahme richtet sie ihren konzentrierten Blick von der Leinwand, die die gesamte Rückseite der schmalen Bühne einnimmt, direkt aufs Publikum. Unterdessen krümmt sich der Mann, dem ihre Worte gelten, mit einer Whiskey-Flasche selbstmitleidig auf dem Bühnenboden. „Du hast mich ausgebeutet „, sagt die einstige Redakteurin der New York Times, Francine Blake (Zeynep Buyraç), zu ihrem ehemaligen Geliebten, dem berühmten Schriftsteller Jacob McNeal (Joachim Meyerhoff), der sie erstaunt-fragend anblickt. „Du bist ein Soziopath. Du empfindest keinerlei Empathie“, sagt sie ruhig, „du kriegst meine Vergebung nicht.“ Langsam folgt ihr die Live-Kamera hinter die Bühne. Auf dem Gang zu den Garderoben dreht sie sich abrupt um, lacht strahlend und wirft die Arme in die Höhe. Es ist die triumphale Geste einer Frau, die sich befreite, indem sie klare Worte fand.

Skrupellose Technik

Mit „McNeal“ schuf der US-amerikanische Autor und Pulitzer-Preisträger Ayad Akhtar das Psychogramm eines Schriftstellers mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung. Jacob McNeal beutet nicht nur skrupellos sein privates Umfeld aus, indem er intime Details und private Geschehnisse in seinen Romanen verarbeitet, sondern er benutzt auch Künstliche Intelligenz (KI), um sie zu verfassen. Uraufgeführt 2024 durch Bartlett Sher am Vivian Beaumont Theater des Lincoln Center in New York mit Hollywood-Schauspieler Robert Downey Jr. in der Titelrolle, präsentierte nun das Burgtheater die deutschsprachige Erstaufführung in der Regie von Jan Bosse. „Der Fall McNeal“ betitelte Übersetzer Daniel Kehlmann das ebenfalls mittels KI generierte Stück, wie Akhtar freimütig bekennt, und unterstreicht damit die psychologische Lesart einer auf naturalistische Dialoge setzenden, losen Szenenfolge.

In dramaturgisch kaum verbundenen, szenisch kargen (Bühne: Stéphane Laimé), doch von Videoprojektionen (Andreas Deinert) opulent überstrahlten Sequenzen gibt Joachim Meyerhoff einen uneinsichtigen, selbstzerstörerischen und von der Außenwelt unerreichbar in sich verlorenen McNeal, den die Trunksucht zunehmend destabilisiert. In grauem Rollkragenpulli, ebenso grauem Anzug und hippen Sneakers (Kostüme: Kathrin Plath) erscheint er als emotional Versteinerter. Manisch faselt er über sein Schreiben, als er von seiner Ärztin (Zeynep Buyraç in einer Doppelrolle) vom nahenden Endstadium seiner Lebererkrankung erfährt. Hyperventilierend reagiert er auf die telefonische Nachricht vom Erhalt des Literaturnobelpreises.

Ende eines Häufchen Elends

Bei der Preisrede, der dank Videoprojektion auch die Schwedische Königsfamilie lauscht, gibt er sich als unsympathisches Großmaul, als eitler Selbstdarsteller gegenüber seiner Agentin (Dorothee Hartinger), als frauenfeindlicher Rassist gegenüber einer jungen Journalistin (Safira Robens), der er betrunken seine Schuldgefühle wegen des Selbstmords seiner Frau beichtet. Zuletzt erweist er sich auch noch als brutaler Schläger seines Sohnes Harlan (Felix Kammerer), der entdeckt hatte, dass der Vater das unveröffentlichte Buch seiner Mutter als sein eigenes herausbringt. Nach der Begegnung mit seiner ehemaligen Geliebten krümmt sich Meyerhoffs McNeal nur in Unterhose auf dem verschneiten Bühnenboden, ein verzweifelt-wehleidiges Häufchen Elend. Schließlich lässt sich der Autor mittels KI innerhalb von zwei Tagen nicht nur einen neuen Roman auf Basis seiner Tagebücher schreiben, sondern auch einen Abschiedsbrief: Leise öffnet sich die weiß strahlende Videowand und McNeal verschwindet ins Dunkel dazwischen.

Schauwert und Dekor

Akhtars Stück bietet das Drama eines Narzissten, dessen zerstörerisch-entwertendes Verhalten verheerende Auswirkungen auf sein Umfeld hat. Meyerhoff vermittelt die ans Klischee reichende Gestalt eines Schriftstellers mit überzeugend körperloser Unterkühltheit. Unterbelichtet bleibt bei ihm jedoch die Anziehungskraft des Charismatikers, der, wenn nötig, auch zu Selbstironie fähig und unwiderstehlich als Verführer ist.

Jan Bosse inszeniert allzu platt vom Blatt, ohne das Innenleben der Figuren auszuleuchten oder ihre Beziehungen zueinander zu gestalten. Dadurch bleiben die Frauen um McNeal Stichwortgeberinnen, nur Dekor wie die zahlreichen Videoprojektionen, die von der belebten Hochhausfassade bis zu Deepfake-Videos mit Meyerhoff zwar Schauwert, aber keinen theatralischen Mehrwert besitzen. Ohne das Feld Künstlicher Intelligenz und die vielen lediglich angerissenen Themen wie #MeToo, Rassismus, Suchtverhalten, Selbstmord und Familientrauma zu vertiefen und dramaturgisch zu verzahnen, zerfallen Bosses Inszenierung ebenso wie Akhtars handlungsarm-retardierendes Stück in Fragmente. Als wäre KI an die eigenen Grenzen gestoßen.