Foto: Ex Oriente Lux?. Thibault Lac (l.), Ondrej Vidlar © Robin Junicke, Ruhrtriennale 2017
Text:Andreas Falentin, am 7. September 2017
Ein hoffnungsvoller Farbtupfer im ästhetischen Einerlei. „Caen Amour“ ist eine internationale Koproduktion, an der die Ruhrtriennale lediglich beteiligt ist. Das Stück war also schon an verschiedenen Orten zu sehen. Dennoch tut diese Produktion dem Festival gut. Weil sie für einen Raum wie PACT Zollverein gemacht zu sein scheint, weil sie Sinnlichkeit und stringente Dramaturgie miteinander verbindet. Und weil sie, eine kostbare Seltenheit im Programm der Ruhrtriennale unter Johan Simons, sich der Mittel des Humors bedient.
Trajal Harell, Choreograph und Tänzer, tanzt bereits zum Zuschauereinlass auf heutige Popmusik. Man kann sich an der Eleganz seiner Bewegungen erfreuen und wird unmerklich mit dem ästhetischen und geistigen Material versorgt, das der kurze, wirkungsmächtige Abend weiterentwickelt und verschmilzt. In Harells Bewegungen finden sich immer wieder sanfte aber deutliche Anspielungen auf das Bewegungsvokabular des Butoh-Tanzes. Er tanzt vor einer blauen Sperrholzkulisse mit orientalischen Klischee-Formen wie im Schülertheater. Während er tanzt, kommen und gehen zwei Männer und eine Frau und transportieren Dinge hinter die Kulisse. Dann verteilt Harell „Choreographer’s Notes“ an die Zuschauer und eine junge Frau steht aus dem Publikum auf und erklärt das gestische Prinzip der Vorstellung: die Hoochie-Koochie-Show, ein Spektakel, dass es auf Jahrmärkten der USA bis in die 80erJahre des letzten Jahrhunderts fast 100 Jahre lang gab. Vorne (Hoochie) ereigneten sich verführerische Tanz-Acts, hinten (Koochie) fielen mindestens die Hüllen. Die Moderatorin fordert auf, sich zu bewegen, zwischen Hoochie und Koochie hin und her zu flanieren.
Was dann kommt, überrascht. Zuerst führen Männer Hosen vor, immer mal wieder auch teilentblößt. Später winden sie sich schön fallende, schön anzusehende Stoffe um verschiedene Körperteile und umgeben sich nach und nach mit orientalisch wirkenden Seidenstoffen. Perle Palombe ist zunächst auf der Hoochie-Bühne nicht zu sehen. Die ersten Zuschauer begeben sich nach hinten und sehen sie nackt. So geht es weiter. Ironische, ästhetisch reizvolle Verführung auf der Vorderbühne, professionelle, nie hektische, immer schnelle ausgestellte Umzüge dahinter. Immer schneller, immer reizvoller. Und immer wieder stehlen sich Butoh-Bewegungen hinein.
„Caen Amour“ ist insistierende Postmoderne, stellt die berühmte Frage nach der Authentizität auf selten intelligente Weise und befragt den Zuschauer intensiv und unnachgiebig nach seiner Rolle im und für das Theater. So gibt es nicht für alle Stühle. Viele müssen zunächst auf Kissen Platz nehmen. Nicht wenige begreifen das als Zumutung. Wenn sie die nackte Schauspielerin betrachten, gerät der eine oder andere ins Gaffen – und wird sich dessen bewusst. Nachdem viele durch Moderatorin und „Choreographer’s Notes“ bereits Orientierungsprobleme haben, wird auch noch ein ‚Trailer‘ angekündigt und dann angedeutet und macht uns zum Teil der Medienmaschine. Wieder trifft Butoh auf Orientalisches. Schließlich stehen Jägermeister und ähnliche Genussmittel in Miniaturflaschen bereit, um uns in Hoochie-Koochie-Stimmung zu bringen. Was halten die von uns, sollen wir uns fragen. Und trotzdem trinken. Die oft laufsteghaften Tänze reflektieren nicht nur Butoh und Hoochie-Koochie, sondern vor allem Geschlechterklischees und Sexismen, Orient- und Okzidentbilder, die sich so verfestigt haben, dass sie das Ende der Hoochie-Koochie-Shows locker überlebt haben. Dazu kommt die echte und doch gefakte Backstage-Situation, die genauso Doku-Drama ist wie Spiel mit der Illusion. So ist „Caen Amour“, was wenig war in den letzten Jahren Ruhrtriennale: unterhaltsam und bedenkenswert.