Foto: „Luther – Rebell Gottes“ am Stadttheater Fürth. © Thomas Langer
Text:Dieter Stoll, am 12. Januar 2017
Es beginnt gleich nach dem Trommelwirbel mit einem Albtraum des jungen Martin Luther, durch dessen Nachtgedanken aufreizend der Papst persönlich tanzt. Uns Zuschauer kann das nicht sonderlich aufregen, denn wir wissen aus der Weltgeschichte, dass es alsbald umgekehrt sein wird. Es folgt das Erwachen beim intimen „Ketzer“-Tribunal, wo dem Überzeugungs-Täter aus Wittenberg viel Raum gelassen wird zur Selbstdarstellung. Martinus nutzt ihn raffiniert für therapeutische Rückblenden ins brodelnde Innenleben, was der Dramatik mit Hauruck auf die Beine hilft. Außer Thesen nichts gewesen? Von wegen! Von teuflischen Ängsten des frommen Mönchs erfährt man da (sie tragen Hörner), dem rettenden Zugriff einer Heiligen (sie erscheint mit der Basisfarbe Vanille im Strahlenkranz als eine Art Methadon-Madonna), dem Zorn des Gerechten beim Hämmern am Kirchentor (mit Percussion-Unterstützung) und der als Event wirklich nicht leicht zu bewältigenden Übersetzung der Bibel. 500 Jahre nach dem legendären Thesen-Anschlag gegen die vatikanische Vermarktung des Seelenheils samt eigendynamisch folgender Kirchenspaltung wächst das Ereignis also in neue Dimensionen – zum Musical-Format.
Mit dem Titel „Luther – Rebell Gottes“ ist klar, dass bei diesem Auftragswerk des Fürther Stadttheaters ein Heldenlied gesungen wird. Aber in welcher Tonart darf’s denn sein? Autorin Nina Schneider, die mit Allround-Komponist Christian Auer (von ihm gibt es schon Stücke über Tina Turner und den Brandner Kasper) den gegebenen Anlass eher auf szenische Brauchbarkeit als auf Theologie abklopfte, benennt das vermeintliche Problem selber. Sie warf vorsorglich die rhetorische Frage in den Raum, ob solch verrockte Turbulenz für das gottesfürchtige Thema überhaupt erlaubt sei. Man kann sie mit offenen Armen beruhigen, nach dem jüngsten polnischen Papst-Theater „Karol“ (katholisch) und der ehrwürdigen Broadway-Show „Jesus Christ Superstar“ (ökumenisch) gibt es jetzt eben auch „Luther – Rebell“ (evangelisch) mit Hüftschwung. Gottes Wille ist sowieso unergründlich, was übrigens am Ende die Moral von der Geschicht sein wird: Keiner kennt die Wahrheit!
Der Bühnen-Luther lernt sie und beiläufig auch die Trends der Popmusik mit 21 Songs zumindest etwas besser kennen. An den biographischen Haltestellen entlang wird der elektronisch gepimpte Soft-Soul zum akustischen Pauschal-Design, aufgemischt von Rap (fürs Prediger-Duell) und, eins-zwei-drei, Solidaritäts-Marsch (für den Bauernaufstand), während eine Pontifikal-Travestie die vatikanische Dekadenz eher anlacht als geißelt. Eine fünfköpfige Rock-Band unter Anleitung des Komponisten (zwei Gitarren, Bass, Drums, Percussions) dreht die Tonspur selbstbewusst auf. Was den Charakter des Jubilars betrifft: Der zergrübelte Idealist, der Kanzel-Magier, der zornige Rechthaber – alles wird musikalisch wie szenisch als Farbtupfer-Sammlung gern genommen, nur vom Antisemiten ist natürlich nicht die Rede, wie sollte man denn dazu tanzen?!
Die handwerklich saubere, in der eigenen Routine verankerte Inszenierung von Werner Bauer lebt von der Magie der Video-Bühne, mit deren raffinierten Projektionen Marc Jungreithmeier am Mischpult rasant Szenenwechsel ohne Umbau-Bremse zaubert. Ganz ernst mag er sich dabei nicht immer nehmen, denn neben Höllenfeuer und Revue-Schaumschlag sind auch Kerker-Ratten und Dorf-Hühner allerliebst im virtuellen Einsatz. Ansonsten verlässt sich die Regie, die der belebenden Zeitsprung-Dramaturgie von Autorin Nina Schneider ebenso vorbehaltlos folgt wie dem Anekdoten-Geländer, an dem sich die gute Gesinnung jederzeit abstützen kann, auf das bestens gecastete Ensemble: Thomas Borchert, eine festen Größe im deutschen Musical-Kreislauf, steht souverän an der Spitze, ein durchtrainierter Ideal-Luther mit Trotz im Blick und Hochdruck auf den Stimmbändern, für den als zölibatsbrechende Ex-Nonne eigentlich nur Sister Act in Frage käme. Immerhin, Navina Heyne greift sich als burschikose Katharina von Bora den verblüfften Martin beim mittelalterlichen Gruppen-Dating für Keuschheits-Verweigerer, und wenn sie dann herzergreifend singt: „Ich gehör zu dir“, dann kann man es keinem Zuschauer verwehren, im eigenen Kopfkino zu ergänzen „…wie die These an der Tür“. Ramin Dustdar ist der geifernde Gegen-Prediger, Oliver Fobe der nette Herzog mit den besten Dialog-Pointen. Kutten-Mönche und Party-Kardinäle werfen die Beine beim Tanzen etwa gleich hoch, das einfache Volk bevorzugt weiterhin festen Tritt bei Marschmusik.
Am Ende, wenn der „Rebell Gottes“ die Rebellion der Menschen nicht verstehen kann, schimmert doch noch ein Hauch von kritischer Distanz durch die Show-Hommage. Im Fürther Stadttheater, wo Intendant Werner Müller in Schwerpunkt-Produktionen seit Jahren immer wieder auf Entertainment als Energiequelle setzt, erhob sich das Premierenpublikum nach freundlichem Applaus schnell zu Standing ovations. Die Luther-Festspiele 2017 haben ihr Vorspiel, für Katholikentage ist die Aufführung nur bedingt geeignet.