Foto: Eine skurrile Zeitreise, entworfen von dem Norweger Jo Strømgen . Ensembleszene aus "Arsen - Ein Rokokothriller" am Gärtnerplatztheater in München © Lioba Schöneck
Text:Vesna Mlakar, am 21. März 2014
In Sachen Bühnenkunst ist der Norweger Jo Strømgen mit allen Wassern gewaschen, als Künstler multidisziplinär. Sein Spezialgebiet: das verschränkte Arbeiten als Choreograph, Autor, Regisseur und Filmemacher. Ob klassisch oder zeitgenössisch, für die großen Kompanien der Welt oder ein Ensemble mit Puppen – seine Motivation bleibt das Erzählen von Geschichten. Dass es dabei nicht immer nur mit rechten Dingen zugehen muss, beweist seine Münchner Uraufführung „Arsen – Ein Rokokothriller“ für das Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Vieles darin wirkt ungewöhnlich. So der Einsatz eines Sprechers (Patrick Teschner) aus dem Off, der Szene für Szene den Handlungsablauf schildert. Mit wie viel Absicht dieser sozialpolitisch um Ausländerfeindlichkeit schlingert, wird nicht aufgelöst, ebenso wenig ein realer Krimi. Strømgens Art der theatralen Verführung funktioniert schleichend, wie die Vergiftung mit Arsen. Seine Mittel sind krasse Überzeichnung und Suggestion in jedem Detail. Spaß hat, wer aufgibt, in seiner Story nach dem roten Faden zu suchen und sich einlässt auf einen bisweilen grotesken Historientripp, angesiedelt zwischen Ibsens „Peer Gynt“ und Münchhausens fantastischen Abenteuern. Premiere war am 20. März 2014, Spielort das Cuvilléstheater, Münchens Rokokojuwel.
Mit wenigen Ingredienzien, prachtvoll ausgestattet (Kostüme: Bregje van Balen) lädt Strømgen zu einer skurrilen Zeitreise ein, die den Zuschauer mitten hineinführt in das Panoptikum menschlicher Sinnesfreuden und (Mord-)Gelüste. Als Schauplatz dient ein Herrenhaus, dessen Atmosphäre aus Garten, Salon, Kapelle, Kellerverlies und Küche Strømgen mit nicht mehr als einigen drehbaren Wandversatzstücken zaubert. Wen schert’s, dass Max III. Joseph (1727-1777; Kurfürst von Bayern seit 1745 und Bauherr des 1753 eröffneten Theaters) 1739 beim anzitierten Frieden von Belgrad zwischen dem deutschen Kaiser und dem Osmanischen Reich erst zwölf Jahre zählt. Es ist sein (älteres) Konterfei, das die höfische Gesellschaft stumm begleitet. Schließlich geben ein Baron und seine Baronesse ein ausgelassenes Sommerfest. Das Event ist Forum für Konversation und frivole Unterhaltung. Heftig tanzend zum impulsgebenden Drive der Kompositionen von Vivaldi, Albinoni, Corelli, Biber und – für einen exotischen Szenenexkurs – Rabih Abou-Khalil gibt man sich kapriziös, witzig, kokett und komödiantisch. Den Musikern des Staatsorchesters gehen die rhythmisch ausgeprägten Werke leicht von der Hand und die 20 Tänzerinnen und Tänzer loten deren Dynamik, mal mit, mal so gut wie ohne Kostüm, in allen möglichen stilistischen Kombinationen aus.
Eine Spanierin möchte „spülen“, worauf bei Strømgens buntem Figurenarsenal aus Adel und Dienerschaft, wo Diplomaten schnell zu osmanischen (Liebes-)Sklaven mutieren, die Post abgeht: Man spielt „Blinde Kuh“ und „Frauenjagen“ in Schießbudenmanier. Gewalt und Geschlechterspiele inbegriffen. Die Vergnügungssucht kennt keine Grenzen. Wer zu langsam bäuchlings übers Parkett hechtet, wird abgeknallt. Der Thrill dabei: ein dubioses Paar aus Ungarn, Drahtzieher im Arsenkomplott mit flinken Beinen und Hang zu Verschwörung und mörderischem Treiben. Zuerst ist die Baronin hin, später noch viele mehr. Wen schert’s? The party must go on! Man ächzt und krächzt, Ohnmacht hin, Leiche her; der Geistliche ist überfordert, der Bewegungschor bzw. das Duo im Hintergrund in seinen Gefühlen dafür frei. Bis der Choreograph per Rückspultaste und Zeitlupenreprise (eine tolle Sequenz) das üble Duo entlarvt. Zu spät: Auf Steckenpferden flüchtet der Baron in sein Verderben. Adieu, Ancien Régime. Die Herrschaft im Haus übernehmen Priester und Diener. Ein makraber „Heidenspaß“.