Foto: Idealer Interpret. Johannes Schwärsky in der Titelrolle von "Nabucco" am Theater Mönchengladbach © Matthias Stutte
Text:Andreas Falentin, am 24. Juni 2018
Musikalisch fulminante Aufführung mit einem idealen Interpreten in der Titelrolle und einem inszenatotischen Ausrufezeichen am Schluss: „Nabucco“ in Mönchengladbach
Die frühen Verdi-Opern gelten vielen Musikwissenschaftlern und Opernexperten als minderwertig. Zu wirkungsbewusst werde hier gestaltet, zu wenig stringent und logisch erzählt, zu dünn sei die künstlerische Substanz. Das Publikum allerdings liebt einige dieser Stücke. Besonders „Nabucco“, Verdis dritte Oper, scheint geradezu eine Garantie zu sein – und nicht nur wegen des berühmten Gefangenenchores.
Für den Regisseur wird die Aufgabe dadurch allerdings kaum leichter, zumal die Dramaturgie „Nabuccos“ eine durchaus ernsthafte ist, in erster Linie aber auf musikalischen Wegen daher kommt. Ohne Rollendeckende, ja Rollen prägende Solistinnen und Solisten, ohne einen Dirigenten, der das Stück ernst nimmt und es nicht auf die berühmten „schönen Stellen“ reduziert, ohne einen homogenen, spielfreudigen und, wo gefordert, expressiv gestaltenden Chor ist das Stück einfach nicht zu haben.
Roman Hovenbitzer fand für seine Inszenierung am Theater Krefeld und Mönchengladbach in dieser Hinsicht hervorragende Bedingungen vor. Johannes Schwärsky ist ein Titelheld aus dem Bilderbuch. Glaubhaft gestaltet er mit Stimme und Körper den raumverdrängenden gelernten Herrscher, der für seine Hybris gestraft wird – hier mit einem Schlaganfall – und am Ende doch wieder zu sich kommt. Dabei bewahrt Schwärsky seiner Figur bei aller brutalen Orientierungslosigkeit eine große, sympathische Ausstrahlung. Und sein Bariton klingt resonant und schön. Dazu ist ihm Lydia Easley als ungeliebte, putschende Tochter Abigaille eine gleichwertige Partnerin. Auch sie ist mit großer Bühnenpräsenz gesegnet und bekommt die eigentlich unsingbare Partie scheinbar mühelos in den Griff, verbindet faszinierend muskelhart hochdramatische mit mädchenhaften Farben. Dazu sind Kairschan Scholdybajew, seit 19 Jahren am Haus und immer noch ein großer Stilist, und Eva Maria Günschmann ein berührendes Liebespaar. Und Diego Martin-Etxeberria, seit dieser Spielzeit Erster Kapellmeister in Krefeld und Mönchengladbach, präsentiert eine organische, theaterzugewandte Tempodramaturgie und trägt die Sänger. Zwei große Höhepunkte gelingen ihm gleich im ersten Bild: das wunderbar lyrisch aufblühende, geradezu duftig atmende Terzett und das rasend schnell und fast unheimlich genau disponierte Finale. Dazu ist der Chor in Bestform, klingt hier transparent, da gewaltig, wo es gefordert ist, präsentiert sich spielfreudig, und zwar nicht als Masse, sondern wahrnehmbar als Gruppe künstlerischer Persönlichkeiten.
Was macht jetzt Roman Hovenbitzer mit diesen fast idealen Bedingungen? Die Ouvertüre lässt Schlimmes befürchten. In einer ungelenken Chorpantomime versucht er, uns die Entstehung eines Familienzwistes nahe zu bringen, in dessen Verlauf tatsächlich der berühmte „Va pensiero“ – Chor gesummt wird, was unbedingt hätte unterbleiben sollen, weil es bestenfalls niedlich wirkt. Allerdings hält sich Hovenbitzer im Folgenden konsequent an seine Setzung. Roy Spahn hat ihm einen hohen Innenraum gebaut, irgendetwas zwischen Kulturzentrum und Sakralraum. Hier bewahrt eine Gruppe von Menschen ihre Identität, übt ihre Rituale, teilt ihre Geheimnisse. Aber Hauptspender jener Identität ist der Hass auf einen gemeinsamen Feind. Und dieser, Nabucco selbst, fegt wie ein Sturmwind durch dieses merkwürdig zwanghafte Idyll. Die Hebräer, die in der Kostümierung von Magali Gerberon Chistliches und Jüdisches vereinen, wandern in die Gefangenschaft. Im Folgenden erzählt Hovenbitzer die Fabel souverän und erforscht die Figuren prodktiv. Einzig mit Zaccaria, dem spirituellen Führer der Hebräer, dem besonders in der Lesart des Regisseurs eine sehr wesentliche Rolle zukommt, will ihm das nicht recht gelingen. Matthias Wippich fehlt es hierfür ein wenig an Autorität in Stimme und Ausstrahlung. So verrutscht ihm die Figur in Richtung Karikatur.
Dennoch gelingt ein Verdi-Abend mit viel Energie und musikalischem Zug, der es sich leisten kann, die Nähe zum Kitsch, die dieses genialische, wirkungsverliebte Werk nun einmal hat, nicht zu leugnen. Dazu setzt der Regisseur zwei Ausrufezeichen. Er verwendet Zitate aus Shakespeares „Lear“, der sicher nicht ohne Einfluss auf Verdis Gestaltung der Titelfigur war. Großformatig rezitiert von Johannes Schwärsky fungieren die kurzen Sprechpassagen als Prologe für die drei ersten Teile. Gegen Ende hin erhöht sich ihre Frequenz, markieren die Zitate die Brüche in der Handlung. Das Verfahren gipfelt in der Präsentation von zwei alternativen Enden, die sich ereignen, ohne dass eine einzige Note wiederholt werden muss: Zuerst werden die Hebräer von Gewehrsalven niedergemäht, nur Nabucco hält seine tote Tochter Fenena im Arm. Dann stehen alle mit blutigen Hemden wieder auf und feiern, inclusive der laut Drehbuch sich eigentlich vergiftet habenden Abigaille, ein fröhliches Versöhnungsfest, das bildlich an die Ouvertüren-Pantomime anschließt.
Man muss diesen Weg des Regisseurs nicht unbedingt mitgehen, aber er resultiert aus einer stimmigen Analyse des Werks. Das Premierenpublikum freute sich dran.