Marisca Mulder als Lady Magnesia und Máté Sólyom-Nagy als Hausdiener Adolphus Bastable in Mieczyslaw Weinbergs Oper „Lady Magnesia“ am Theater Erfurt.

Ausgrabungsschmuckstückchen

Mieczyslaw Weinberg: Lady Magnesia

Theater:Theater Erfurt, Premiere:02.02.2012 (UA)Regie:Barbara SchöneMusikalische Leitung:Samuel Bächli

Bei den Bregenzer Festspielen 2010 war Mieczys?aw Weinbergs Oper „Die Passagierin“ die Sensation. Dieses Musiktheatermonument gegen das Vergessen brachte das Grauen von Auschwitz mit emotionaler Wucht auf die Bühne und entriss den 1919 in Polen geborenen und 1996 in Moskau gestorbenen Schostakowitsch-Schüler schlagartig der Vergessenheit. Dass der 1941 vor den Deutschen in die Sowjetunion entkommene Jude, dessen Familie den Nazis zum Opfer fiel, selbst in Moskau in den antisemitischen Strudel geriet und wohl nur durch Stalins Tod 1953 vor dem Schlimmsten bewahrt wurde, verleiht seiner Oper über den Holocaust eine quasi biographische Authentizität.

An der Oper in Erfurt kann man jetzt erleben, dass er es auch im grotesk heiteren Fach zur Meisterschaft gebracht hat. „Lady Magnesia“ heißt dieses kleine, aber feine jüngste Erfurter Ausgrabungsschmuckstück. Es dauert keine 50 Minuten, lohnt sich aber allemal. Und das auch wegen der witzig-präzisen Inszenierung von Barbara Schöne. Die surreal kopfstehende Ausstattung von Jeannine Cleemen scheint dabei von Dali und von „Arsen und Spitzenhäubchen“ inspiriert zu sein. Hier steht nämlich alles auf dem Kopf oder ist zumindest ziemlich schräg.

Weinberg hat das Libretto für seine 1975 geschriebene Kammeroper nach George Bernard Shaws schwarzhumoriger Farce Passion, Poison and Petrification (Leidenschaft, Gift und Versteinerung) aus dem Jahre 1905 selbst geschrieben. In Erfurt geht das jetzt in einer deutschen Fassung von Hans-Ulrich Duffek gut verständlich über die kleine Bühne des Opernhauses.

Dass eine Lady (mit Sopraneleganz: Marisca Mulder) der besseren Gesellschaft sich nicht so recht zwischen dem Gatten (Marwan Shamiyeh) und ihrem Liebhaber (Máté Sólyom-Nagy) entscheiden kann, ist dabei noch einigermaßen nachvollziehbar. Wenn der eine Lord ist und auf den schönen Namen George Fitztollemache hört und der andere der attraktive Hausdiener Adolphus Bastable, dann liegen die boulevardesken Verwicklungen auf der Hand. Dass diese Konstellation bis zu einem Eifersuchtsmordanschlag des gehörnten Ehemanns auf seine Gattin führt, und als der misslingt, der Nebenbuhler einen Gift-Drink serviert bekommt, ist auch noch irgendwie nachvollziehbar. So richtig verrückt, und abgedreht wird die Angelegenheit erst, wenn die beiden dann dem Hausdiener den Gips von der Stuckdecke oder aus einer Büste mit dem Porträt der Hausherrin zur Linderung seiner Todesqualen verabreichen. Als man ihm auch noch reichlich zu Trinken gibt, wird der Ärmste selbst zu einer Statue, die fortan seine Hände schützend über das Ehepaar halten soll. So jedenfalls die Abwandlung der Vorlage bei Weinberg.

In Barbara Schönes Inszenierung sind sie am Ende (wie in der Vorlage) wieder alle tot. Die Lady wird hinter einer zerfließenden Tür entsorgt, die nicht nach draußen führt, sondern sich als Sargdeckel erweist. Und auch der Lord und das ziemlich diabolische Zimmermädchen Phyllis (Stéphanie Müther), von dem man eh nicht so genau wusste, in wessen Diensten sie nebenbei noch gestanden haben mag, fahren wohl geradewegs zur Hölle.

Musikalisch ist die Nähe Weinbergs zum prominenten Vorbild Schostakowitsch auch in der kleinen Form unüberhörbar. Und doch findet er selbst in dieser Opern-Farce in ihrer gut gemischten Balance höchst verschiedener Zutaten zu dramatischem Drive und zu einer eigenen Sprache. Die kommt mit souveräner Gelassenheit ohne avantgardistischen Erneuerungsfuror aus und funktioniert als Musik für die Bühne fabelhaft. Mit der liebevollen Umsicht des ambitionierten Ausgräbers macht der Erfurter Kapellmeister Samuel Bächli das Zusammenspiel der kleinen Formation des Philharmonischen Orchesters mit Drumset und Tom-toms, Gitarre, E-Gitarre und E-Bass, Klavier und Harmonium sowie einem Holzbläserquartett nebst Horn und Posaune und einem Streichquintett einem runden Ganzen, das von lakonischer Parlandobegleitung über atmosphärischen Theaterdonner bis hin zu einem frechen Wechsel des Tonfalls mit Rückgriffen auf die U-Musik reicht.

Diesmal wird der in Erfurt notorische und per se verdienstvolle Ausgrabungsehrgeiz Guy Montavons durch ein kleines aber feines Musiktheater-Vergnügen belohnt. Ein Stück, wie geschaffen für die Kammerbühnen….