Foto: Auferstanden aus Ruinen?. Schlusstableau von "Iwan Sussanin" an der Oper Frankfurt © Barbara Aumüller
Text:Andreas Falentin, am 26. Oktober 2015
Helden aus Patriotismus begegnen wir heute mit großer Skepsis, ausgelöst vor allem durch die Geschichte der letzten hundert Jahre und ihre Verarbeitung in populären Medien wie dem Hollywood-Film. Vor 180 Jahren war das noch etwas Neues. Michail Glinka machte den – historischen – Bauern Iwan Sussanin, der feindliche Soldaten in die Irre führt um die eigenen, den jungen Zaren Beschützenden zu retten, und von vorneherein weiß, dass er dabei sein Leben verlieren wird, zum Helden seiner ersten, 1836 unter dem Titel „Ein Leben für den Zaren“ uraufgeführten Oper. Es wurde die Nationaloper des Zarenreichs. Auch die kommunistischen Machthaber versuchten das Werk zu nutzen, indem sie alle Anspielungen auf den Zaren aus dem Libretto tilgen ließen. Wie geht man heute mit diesem schwierigen, gleich doppelt belastetem Sujet um?
Harry Kupfer und der Dramaturg Norbert Abels haben eine „Frankfurter Bearbeitung“ des Werkes erstellt. Etwa ein Drittel der Komposition ist gestrichen, darunter naturgemäß viele Chorszenen und Tanztableaus. Dennoch bleibt „Iwan Sussanin“ ein flächiges Relief, dominiert von einem reizvollen Mischkolorit aus italienischem Belcanto, den Glinka auf seinen Europareisen kennen gelernt hatte, und russischer Volkstanz und –liedmelodik. Handlungsstringenz stellt sich nirgends ein. Die musikalische Kostbarkeit dominiert, etwa das wunderbare Terzett im ersten Akt oder Sussanins große Arie, in der origenellerweise, als Epilog vor dem Epilog, das Rezitativ der Arie folgt. Kupfer sucht theatralisches Leben, indem er ein bekanntes Setting wählt: Er versetzt die Handlung in den zweiten Weltkrieg. Zumindest auf dem Papier. Dafür macht er aus den polnischen Invasoren deutsche, die allerdings keine konkreten Nazi-, sondern eher aseptische Operettenuniformen tragen. Dazu bewegen sich die die Soldaten darstellenden Choristen merkwürdig emotions- und energielos. Und sie singen deutsch, wenn sie Deutsche spielen, was zu Glinkas elegant verspielten Holzbläserkantilenen erstaunlich flach klingt. Die zeitliche Verlegung verärgert das Publikum, erfasst das Werk jedoch nicht. Die Menschen auf der Bühne bleiben uns fremd.
Das mag an der disparaten, nicht durchgängig geschmackssicheren Optik der Inszenierung liegen. Hans Schavernoch hat eine malerisch gekippte Kirchenruine auf die Bühne gestellt, hinten abgeschlossen durch einen pittoresken Prospekt mit laublosen Bäumen. Gelegentlich werden Videos zur Verdeutlichung eingesetzt, etwa ein stilisiertes Dickicht auf dem Zwischenvorhang, Stummfilmzitate im zweiten Akt, um die deutsche Feierstimmung zu verdeutlichen oder endloses Schneetreiben im Schlussakt, in dem Sussanin im Winterwald von den feindlichen Soldaten schließlich hinter einer geborstenen Glocke umgebracht wird. Die Kostüme von Yan Tax segeln mit Pelzmütze und Bauernkittel auf andere Weise hart am Klischee. Konkret gesprochen: Harry Kupfers Inszenierung pendelt unentschieden zwischen magischem und psycholgischem Realismus hin und her und erfasst so weder das Stück noch seine Figuren. Was sich besonders im abschließenden Jubelepilog schmerzlich niederschlägt, der nichts ist als haltungslose Figurenanordnung. Und das von einem Regisseur, dessen Markenzeichen etliche Jahre lang nicht nur die plastische Personenführung, sondern vor allem der eigenständige, nicht selten ideologiekritische Stückzugriff war.
Auch Sebastian Weigle hat als Frankfurter GMD schon größere Abende gehabt. Er dirigiert stets tonschön, arbeitet den immensen Farbenreichtum der Partitur mit dem bestens disponierten Orchester und dem musikalisch hervorragenden Chor kundig heraus, lässt aber theatralische Vitalität vermissen. In der Titelrolle bringt John Tomlinson große Ausstrahlung, eine immer noch imposante Bühnenerscheinung und seinen schartig gewordenen Ausnahmebass ein. In den szenisch nicht eben dankbaren Frauenrollen begeistern Kateryna Kasper mit silbrig-frischem Sopran und besonders Katharina Magiera als Sussanins Adoptivsohn mit wunderbar leicht ansprechendem, so geläufigem wie expansionsfähigem, sehr lyrisch geführtem Alt.