Foto: Florian Walter, Katharina Brenner und Marie-Paulina Schendel (v.l.) © Martin Kaufhold
Text:Ute Grundmann, am 21. Mai 2021
Tochter, Mutter, Vater streiten sich, dass die Möbel von der Bühne krachen – die Zuschauer in der ersten Reihe ziehen schon mal die Füße ein. Doch im Studio des ETA Hoffmann Theaters geht mehr kaputt als nur ein Wohnzimmer oder Vaters Laptop. Auf dem versucht dieser mühsam, eine Rechtfertigung zu tippen, dass gegen seine Schüler auch „der Stock“ eingesetzt wurde. Nach jenem wiederum ist Mark Ravenhills Stück benannt, das in Bamberg jetzt zur Deutschsprachigen Erstaufführung kam.
Nur ein Drittel der 99 Plätze besetzt, Masken auf, Garderobe auf der Stuhllehne – aber Theater live. Und das beginnt im langgestreckten, hell längsgestreiften Wohnkasten, den Ran Chai Bar-Zvi entworfen hat, wie auch die Kostüme, ganz friedlich. Schummerlicht, dunkle Streicherklänge, Mutter Maureen (Katharina Brenner) am Bügelbrett. Ein Junge mit Sepplhut und Blockflöte schaut ihr, gemalt, über die Schulter, die Schmetterlinge sind aufgespießt. So können sie auch nicht fliehen, als Tochter Anna (Marie-Paulina Schendel) die Elternwohnung entert, ganz in Schwarz, mit voluminöser Aktentasche. Die beiden Frauen, die sich wohl lange nicht gesehen haben, reden sofort aneinander vorbei. Eingeschmissenes Fenster? Glaser sind so schwer zu kriegen. Der Beweis-Stein? Im Müll. Der Vater? Im Arbeitszimmer. Doch der sitzt abgemeldet unter „Kopfhörern mit akustischer Geräuschunterdrückung“ vor der Wand. Solche sprachlich-psychologischen Spitzfindigkeiten leistet sich Ravenhill („Ficken und Shoppen“) immer wieder und die Darsteller kosten sie aus. Auch Florian Walter als Vater Edward, der in den Mittelpunkt rückt und wieder daraus verschwindet, aber permanent unter Anklage steht. Denn, man ahnt es bald, er hat den titelgebenden Stock auch zur „Erziehung“ geschwungen, bis das verboten wurde (das „leider, leider“ meint man mitzuhören).
Doch weder der britische Dramatiker noch Regisseur Matthias Köhler zetteln eine Schul- oder Gerichtsstunde an – sondern lassen eine Kleinfamilie sich selbst zerlegen. Und die drei Akteure reichen ihre Rollen mit Furor und Feuer an. Die ungeliebte, nichtliebende Tochter, die dem Vater mit der Axt drohte, „vergisst“ heute nur noch den Geburtstag. Die Mutter gibt sich rollengerecht abwehrend-beschwichtigend, bis nicht mehr geht. Das geht konsequent bis in die Stimmlagen: Anna dunkel-weich, Maureen hell und hart, Edward, der so gerne eine Autorität wäre, irgendwo dazwischen. Alle drei verheddern sich in einer Schleife aus Beschuldigungen und Verwünschungen, die gerne reihum gereicht werden. Nur die Machosprüche („Kümmer‘ du dich um die Küche“) hat der Vater für sich allein. So machen sie sich – flink, flott, aber präzise – das Wohnzimmer zur Hölle, bis die Rückwand alles bis auf die Kleinfamilie von der Bühne schubst. Als das Zimmer wieder in Ordnung, aber leer ist, hängt statt des Seppl eine prügelnde Madonna an der Wand. Die Pointe – Edward ist gerade noch Lehrer, Maureen war es irgendwann mal, Anna evaluiert Schulen mit „Best Practice“-Sprüchen – braucht es gar nicht mehr. In dieser Familienaufstellung wird an den Fesseln gezerrt, geknotet, gerüttelt, aber nichts gelöst. Und so ist nach spannenden 90 Minuten viel mehr als nur der Dachboden zu entrümpeln.